Ein eindrucksvolles Buch. Es gibt eigentlich zwei Geschichten die ineinander schwimmen. Die eine, ein Beziehungsdrama, die andere eine Dokumentation des Willens. Charles, heute jenseits der sechzig, und sein damaliger Freund Silas, lernten als Engländer mit etwas kosmopolitischeren Hintergrund – wird ja immer seltener sowas – Ende der Siebziger auf Sylt, ein Schwesternpaar kennen: Maude und Abbie. Man ist jung, schäkert, flirtet, verliebt sich, etc… wobei die Gefühlslage der vier durchgehend durcheinander ist und im Laufe der ersten Jahre ihrer gemeinsamen Geschichte, ein schreckliches Ereignis, die Gruppe erstarren lässt. Nach Jahren des Verarbeitens, gibt es bei Charles und Maude so etwas wie ein Familienleben und sogar eine Tochter namens Hazel. Silas existiert noch, aber selten körperlich, sondern eher als ein Art Weltenbummler, der sich ab und an meldet.
Eines Tages, vierzig Jahre nach ihrem ersten Treffen, werden die Abgründe noch mal neu sortiert, die Gefühle durcheinander gewirbelt und neue Entscheidungen getroffen. Eine dieser Entscheidungen ist die von Charles: er will den Ärmelkanal bezwingen. Diesen Punkt ohne Rückkehr teilt er niemanden mit, er bereitet sich alleine vor. Das alleine ist es wert, dieses Buch mit allen offenen Sensoren zu lesen. Selten habe ich so eine komplette Beschreibung von unterschiedlichsten Aggregatzuständen des Wassers, Strömungssituationen, Spiegelungen, Wetterphänomene, Müll- und Fahrrinnen Problemen und über allem, die Leistungsbeschreibung eines Körpers der sich über fast 24 Stunden im Wasser quält und vorwärtsbewegt. Halluzinationen, etc…. Und in dieser unendlichen Paddelei die Rückblicke auf die Geschehnisse der emotionalen Bindungen zu Maude zu Abbie und Silas. Einfach ausgedrückt – eine Art von Flucht und Verarbeitung. Beschreibungen von Bergbesteigungen, Todeszonen, usw. habe ich schon mehrfach gelesen. Aber zum ersten Mal einem Kanalschwimmer gelauscht. Ein faszinierendes Werk.
Ulrike Draesner: Kanalschwimmer.
mare Verlag, August 2019.
176 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Fred Ape.