Zwanzig Essays, die Siri Hustvedt in den Jahren zwischen 2011 und 2020 verfasst hat, sind in diesem Buch versammelt.
Einerseits sind diese Essays stark von ihren persönlichen Erinnerungen an ihre Familie und deren Herkunft geprägt, andererseits greift Hustvedt Themen auf, mit denen sie sich auch bereits in ihren Romanen auseinandergesetzt hat, so unter anderem mit den Neurowissenschaften, der Psychoanalyse, Kunst, Schreiben, natürlich dem Feminismus und – weil es ins Zeitraster fällt – der Pandemie.
Gleich zu Anfang gewährt sie uns sehr private Eindrücke aus ihrer Kinderperspektive auf ihre ländlich geprägte Großmutter Tillie, der Mutter ihres Vaters, die keinen feinen Sprachgebrauch pflegte. Ihrem Vater, einem Literaturprofessor, kreidet sie indirekt an, dass er so gut wie nie über Frauen, sondern immer nur über Männer schrieb und auch die Frauen aus der eigenen Familie in seinen hinterlassenen Briefen und Dokumenten wenig bedachte. Dennoch behauptete sich ihre Mutter als starke und autarke Frau neben dem Vater.
In Anlehnung an ihre Familiengeschichte schreibt Hustvedt „Wir übernehmen die Gefühle anderer, besonders die Gefühle geliebter anderer, …(eBook S. 12).
In weiteren Essays behandelt Hustvedt explizit die Frauen- und Mutterrolle.
Es sind viele Reflexionen, und Eigenerinnerungen, mit denen Siri Hustvedt die LeserInnen konfrontiert. So streifen ihre Gedankengänge unter anderem Freud oder Aristoteles.
Persönliche Leseerfahrungen
Ihre persönlichen Leseerfahrungen, von denen sie geprägt ist, nehmen einen relativ großen Teil ihrer Ausführungen ein, so geht Hustvedt ausgiebig auf zwei britische Schriftstellerinnen aus dem 19. Jahrhundert ein: Emily Bronte und Jane Austen.
Ihr letztes Essay „Sündenbock“ handelt dann von einer ganz anderen Thematik: von grenzüberschreitender Gewalt. Hustvedt greift hier die Tat einer Hausfrau aus dem Bundesstaat Virginia auf, die über Wochen zusammen mit ihren eigenen Kindern ein unschuldiges Mädchen gefoltert und anschließend getötet hatte. Siri Hustvedts eigene, aus dem Rahmen fallenden Gedankengänge hierzu zeigen sehr außergewöhnliche Facetten von Opfer und Täterverhalten auf.
In allen ihren Abhandlungen lernt man Siri Hustvedt in ihren intellektuellen Gedankengängen als warmherzige, emotional geprägte, selbstbewusste, aber durchaus auch mal mit Selbstzweifeln behaftete Beobachterin kennen.
Siri Hustvedt: Mütter, Väter und Täter: Essays.
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Grete Osterwald und Uli Aumüller.
Rowohlt, Februar 2023.
448 Seiten, gebundene Ausgabe, 28,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.