Roland Schulz: So sterben wir: Unser Ende und was wir darüber wissen sollten

Als der Deutsche Bundestag 2014 über die gesetzliche Regelung von Sterbehilfe diskutierte, stellte sich der Journalist Roland Schulz die Frage, was das denn eigentlich genau ist, das Sterben. Er begab sich auf die Suche nach einem Wissenswerk darüber, was Sterben ausmacht, und fand – so gut wie nichts. Er begann zu recherchieren und traf sich mit Menschen, die sich mit dem Sterben auskennen, mit Ärzten, Pflegern, Hospizhelfern, Pathologen, Palliativmedizinern, Bestattern und Trauerbegleitern, mit Sterbenskranken und deren Angehörigen.

Obwohl uns allen der Tod gewiss ist, versuchen viele, jeden Gedanken daran zu vermeiden. Spüren, wie die Kräfte schwinden? Schmerzen erleiden müssen, dem eigenen Körper immer weniger trauen können? Das Ende vor Augen haben? Sterben und in Vergessenheit geraten? Das ist etwas, das anderen passiert; wir verdrängen, dass es uns betrifft, vielleicht in Jahrzehnten, vielleicht schon bald.

Was passiert mit uns, wenn wir sterben? Welche biologischen und seelischen Prozesse laufen ab? Was denken und fühlen wir? Was geschieht mit unseren sterblichen Überresten und mit uns als Person, nachdem wir gestorben sind?

„Tage vor deinem Tod, wenn noch niemand deine Sterbestunde kennt, hört dein Herz auf, Blut bis in die Spitzen deiner Finger zu pumpen. […] Dein Körper leitet den Abschied vom Leben ein.“ (Zitat S. 7)

Roland Schulz wählt für sein Buch die Du-Form, er spricht die Leserinnen und Leser direkt an. Damit geht es um ihren Körper, um ihr Denken und Fühlen, um ihren Tod. Das ist hart, das wird nicht jeder mögen. Aber es bewirkt, dass man das Thema für sich durchdenkt, so gut es eben geht; schlussendlich ist und bleibt das Sterben den Lebenden ein Rätsel, etwas, das nicht vollständig erklärbar ist.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert: Sterben, Tod, Trauer. Der erste Teil widmet sich dem Sterbeprozess, im zweiten Teil begleitet Schulz eine Ärztin bei der Leichenschau, gewährt Einblick in ein Bestattungsinstitut, in ein Krematorium, in das Sterbebüro des Standesamtes. Im dritten Teil beschreibt Schulz die verschiedenen Formen der Trauer; sie ist so vielschichtig und individuell wie das Sterben selbst. Er schildert die Erfahrung vieler Trauernder, dass nach einer gewissen Zeit wieder Zukunftsgewandtheit erwächst, auch wenn die Trauer bleibt und nicht vergeht.

Was vergeht, das sind wir. „Doch auch die Menschen, die um dich trauern, werden sterben. Und mit ihnen vergehst auch du, mit jedem Tod mehr. So lange, bis an einem Tag außer Sicht […] die letzten Spuren deines Lebens verwehen und dein Sterben und Tod vollkommen sein werden.“ (Zitat S. 191)

Sprachlich zieht Schulz alle Register. Ihm gelingen poetische Beschreibungen; eindringliche Wiederholungen bestimmter Passagen illustrieren das immerwährende Wachsen und Vergehen von Generationen. An manchen Stellen habe ich beim Lesen gelächelt, an einigen geweint, weil mich der Text so berührt hat, und immer, immer war ich mittendrin, erschüttert, erkannt und nackt bis auf die Knochen. Die Sorge, die Schulz im Nachwort äußert, dass sein Buch und die Erzählweise ein Gefühl des Wissens und damit der Kontrolle erzeugen könnten, teile ich nicht. Wissen schon – dass aber Kontrolle unmöglich ist, wird überdeutlich.

„So sterben wir“ ist kein Ratgeber, kein Leitfaden für Trauernde. Nach meiner Einschätzung ist es eher nicht für traurige Lebensphasen geeignet, sondern besser für solche, in denen man gefestigt ist und bereit, sich der Gewissheit zu stellen, dass das eigene Leben eines Tages enden wird.

Danke an Roland Schulz für dieses wunderbare, außergewöhnliche Buch.

Roland Schulz: So sterben wir: Unser Ende und was wir darüber wissen sollten.
Piper, Oktober 2018.
240 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Ines Niederschuh.

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