Die Neuerscheinung des Politikwissenschaftlers und freien Journalisten Ozan Zakariya Keskinkılıҫ hat mich auf mehrere Arten berührt. Sein Roman „Muslimaniac – Die Karriere eines Feindbildes“ bespricht in persönlichen Erfahrungen, aber auch in einer weitgehenden Recherche des Autors das Feindbild Deutschlands (und der Welt) gegenüber dem Islam. Dieses äußert sich in mehr Facetten, als die meisten Außenstehenden es sich vorstellen können.
„Muslimaniac“ ist eines von jenen Büchern, die mir beim Lesen wie ein Hammer auf den Kopf fallen und mir die Augen öffnen für all die indirekten Diskriminierungen, an denen mein Alltag mich oft genug blind vorbeiführt. Dass ein Teppichladen in Deutschland zugunsten des Umsatzes architektonisch einer Moschee ähnelt; dass ein Neugeborenes einen „Mongolenfleck“ auf dem Rücken trägt; dass Sie doch lieber nicht den Namen Ihres türkischstämmigen Mannes annehmen sollten, wenn Sie jemals wieder eine Wohnung finden wollen. All diese Aspekte und noch viele mehr stellen aufs Neue heraus, wie wenig die deutsche Gesellschaft über den Islam und all jene, die sich ihm zugehörig fühlen, weiß und wie falsch und vorurteilbehaftet unser Schubladendenken funktioniert. Doch dieses Buch, auch wenn es in erster Linie das Feindbild Islam thematisiert, geht noch darüber hinaus, muss es sogar. Denn das Feindbild des Islam beschränkt sich nicht nur auf die Religion oder ihre Gläubigen. Es dehnt sich darüber hinaus auf alle Menschen aus, die als ausländisch wahrgenommen werden, außerdem auf Homosexuelle, Frauen und jegliche Personen, die nicht dem weißen, männlichen, heterosexuellen Stereotypen entsprechen. Es ist verknüpft mit Poesie, mit Politik und Familie, mit dem Alltag eines und einer jeden von uns. Just gerade eben, beim Beginnen dieses Textes, spürte ich es, als ich für den Nachnamen des Autors minutenlang die Sondersymbole meines Schreibprogrammes durchsuchen musste. Die Diskriminierung hierzulande ist allzeit präsent und dadurch umso wichtiger in ihrer Besprechung.
Keskinkılıҫ’s Roman ist wie ein Stück Baklava getränkt, allerdings nicht in Zuckerwasser, sondern in allumfassende Ernüchterung. Das Buch als Ausweg und gleichzeitig als Verstärker des Diskurses sehend schildert der Autor die facettenreichen Anfeindungen, die er und alle, die sich in diesem Buch wiedererkennen können, jeden Tag durchleben müssen. Gleichzeitig ist der Roman ein Hilfeschrei, doch endlich den Fokus vom Feindbild des Islam wegzunehmen, nicht jedes Verbrechen zu islamisieren und für Gleichberechtigung und Akzeptanz zu sorgen. Und in diesem Hilfeschrei, der sich versteckt in Frustration und Ernüchterung, versteckt sich ein großer, großer Barren an Hoffnung darauf, dass die Gesellschaft von ihrem sehnsuchtsvoll-verherrlichenden und gleichzeitig anfeindend-ängstlichen Blick auf den Islam und arabische Kulturen ablässt und Menschlichkeit in ihrer besten Form in den Alltag aller einziehen kann. Denn was wäre Deutschland ohne all die Menschen, die sich irgendwann einmal hier niedergelassen haben und dieses Land seitdem mit ihrer Kultur, ihren Vorstellungen und Erfahrungen, Sprachen und Religionen bereichern? Was wäre-, nein, heben wir die Frage aus ihrem Konjunktiv heraus – Was ist Deutschland ohne die Notwendigkeit eines Feindbildes? Nun, ich sage, ein Paradies. Vielleicht jenes, das mein Gott und dein Allah, dein Gott und mein Allah stets prophezeien.
„Muslimaniac“ ist letztendlich ein Buch, das (und ich weiß, das sage ich in jeder meiner Rezensionen) von uns allen gelesen werden sollte. Denn es schlägt wie ein Hammer auf den Kopf und die Scheuklappen von der Nase, wieder ein bisschen mehr. Ich empfehle dieses Buch vor allem für jene Menschen, die sich in ihrem Alltag keiner Diskriminierung ausgesetzt fühlen, denn diese Menschen sind es, die am meisten Neues aus Keskinkılıҫ‘s Gedanken ziehen können. Doch auch alle anderen LeserInnen werden bei dieser Lektüre vieles lernen, Zusammenhänge verstehen und vielleicht, genau wie ich, die ein oder andere Träne weinen. Vielleicht können wir eine Art Kettenreaktion der Bewusstwerdung auslösen und uns ein Paradies erschaffen, das allen offensteht.
Ozan Zakariya Keskinkiliç: Muslimaniac: Die Karriere eines Feindbildes.
Edition Körber, September 2021.
272 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Jana Luisa Aufderheide.