Natsume Sōseki (1867-1916) ist ein berühmter japanischer Schriftsteller der modernen Literatur. Zu seinem 100. Todestag erschienen 2016 einige seiner Bücher in Deutschland. Im März 2018 gab der DuMont Verlag Sōsekis 1908 erschienenen Roman „Der Bergmann“ (Originaltitel: Kōfu) in einer Übersetzung von Franz Hintereder-Emde als Taschenbuch heraus.
Im Vorwort zu dem Buch zählt Haruki Murakami „Der Bergmann“ zu seinen Lieblingsbüchern.
Ein junger Mann verlässt eines Tages (vermutlich nach einer unglücklichen Verliebtheit) Hals über Kopf sein Elternhaus in Tokio, in dem er bis dahin sorgenfrei gelebt hat. Auf seiner Wanderschaft, die planlos durch die japanische Landschaft führt, landet er zunächst in einer Teestube, in der er von einem fremden Mann für die Arbeit in einem Bergwerk angeworben wird. Der junge Mann sucht die Einsamkeit und vielleicht auch den Tod. Und trotzdem folgt er dem Werber Chōzō blauäugig und ohne Nachzudenken. Auf dem Weg kommen zwei weitere Unbedarfte dazu. Trotz aller Widrigkeiten scheint der junge Mann diese zusammengewürfelte Gemeinschaft zu genießen und ihr zu vertrauen. Nach einer Zugfahrt und einem weiteren langen Fußmarsch gelangen sie zu einem Erzbergwerk. Dort ist dem jungen Mann alles fremd: die Bergleute, die Unterbringung, das Essen, die Arbeit. Und obwohl ihm der Gruppenleiter Hara und später der Bergmann Yasu dringend von der Arbeit als Bergmann abraten, will er es versuchen. Er fährt mit dem Führer Hatsu in die Grube ein.
Dort macht er Bekanntschaft mit den harten Arbeitsbedingungen der Bergleute unter Tage. Er verirrt sich beinahe und trifft den Bergmann Yasu, der ihm hilft, wieder ans Tageslicht zu gelangen. Und obwohl er völlig ungeeignet und überfordert ist, will er sich und den anderen beweisen, dass er als Bergmann arbeiten kann. Bei einer ärztlichen Untersuchung stellt sich jedoch heraus, dass der junge Mann eine Bronchitis hat und deshalb abgelehnt wird. Letztendlich wird er als Buchhalter für die „Kantine“ der Bergleute eingestellt. Nach fünf Monaten kehrt er nach Tokio zurück.
Natsume Sōseki hat mit „Der Bergmann“ das genaue Protokoll der Suche eines jungen Mannes nach seiner Bestimmung abgeliefert, allerdings mit einem offenen Ausgang der Sinnsuche. Er beschreibt detail– und wortreich in einer schönen Sprache die Gefühle, Gedanken und das Verhalten des jungen Mannes auf der Flucht aus seinen bequemen Lebensumständen in der Großstadt Tokio. Als Lesende bin ich erstaunt über die Naivität, Lebensunerfahrenheit und Gutgläubigkeit eines beinahe Zwanzigjährigen. Sōseki lässt den Protagonisten die Geschichte Jahre nach den tatsächlichen Erlebnissen erzählen. Inzwischen ist dieser selbst über sein damaliges Verhalten verwundert:
„Ich habe damals in den verschiedensten Situationen zu jedem und allem, was Chōzō von sich gab, Ja und Amen gesagt, und das war für mich das Natürlichste auf der Welt. Aber so wie ich heute bin, muss ich sagen, und wären da hundert Chōzōs, die mich sieben Tage und sieben Nächte herumschleifen wollten, ich würde keinen Finger rühren.“ (Seite 93)
„Der Bergmann“ ist aber nicht nur die Geschichte eines jungen Mannes auf dem Weg zum Erwachsenen, sondern auch eine Beschreibung Japans auf dem Weg in die Industrialisierung und den Wandel von Traditionen. 1908 war diese Form der Literatur in Japan unüblich, Sōseki betrat Neuland mit seinem Roman. Grundlage war eine Begegnung mit einem Minenarbeiter, der dem Schriftsteller über seine Arbeit erzählte. Daraus fertigte Sōseki die fiktive Geschichte eines Bergmannes, der kein Bergmann wurde.
Zum Ende der Ära des Steinkohlebergbaus hier bei uns im Westen hat „Der Bergmann“ von Natsume Sōseki eine, wenn auch nicht beabsichtigte, Aktualität. Lesenswert.
Natsume Sōseki: Der Bergmann (1908).
DuMont Buchverlag, März 2018.
240 Seiten, Taschenbuch, 11,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.