Marie Pierre: Töchter des Aufbruchs

Pensionate, in denen den sogenannten „höheren Töchtern“ eine fundierte Ausbildung und Vorbereitung auf ihre Zukunft als Ehefrau, Mutter und Vorstand eines Haushalts vermittelt wurde, gab es sicher reichlich in der Kaiserzeit. Eines wie das, das wir in diesem ersten Band einer Trilogie um das Pensionat an der Mosel, genauer in Diedenhofen – heute wieder Thionville – kennenlernen, bestimmt nicht so zahlreich. Schulleiterin Pauline Martin möchte ihren Schülerinnen nämlich einiges mehr vermitteln als gepflegte Konversation, ein bisschen Lektüre, Handarbeiten oder Klavier spielen. Sie, als Französin, mit klaren Vorstellungen und einem gesunden Selbstbewusstsein hat es eh nicht leicht in der preußischen Region Elsass-Lothringen um 1910.

Von den Bewohnern des schönen Städtchens an der Mosel wird sie argwöhnisch beäugt, weil sie eben nicht so strikt preußisch denkt und handelt, wie es der Zeitgeist verlangt, weil sie ihren Schülerinnen, die aus den unterschiedlichsten Elternhäusern in Deutschland, Frankreich und Luxemburg kommen, eben nicht nur Zucht und Ordnung vermittelt, sondern sie zu selbstbewussten, gebildeten jungen Frauen mit eigener Meinung erziehen möchte. Das Pensionat ist suspekt! Als es dann auch noch zu dem ein oder anderen Zwischenfall kommt, ist ihr und der Ruf ihrer Schule ernsthaft in Gefahr. Obwohl Pauline sich des Geredes bewusst ist, setzt sie sich über Konventionen der Kaiserzeit hinweg und geht sehr ungewöhnliche Wege, um die Existenz des Pensionats und den guten Ruf der Schule wie auch ihren eigenen zu retten.

Marie Pierre, alias Maria W. Peter hat ihre Geschichte um das Pensionat in eine Zeit eingebettet, die strenge Normen vorgab. Elsaß-Lothringens wechselvolle Geschichte zwischen mal deutscher und mal französischer Herrschaft, die aufstrebende Industriekultur, die Nähe zum heutigen Saarland und die Geschichte, die beide Regionen verbindet, bilden den Rahmen für diese fiktive Geschichte um Pauline Martin, ihre Schützlinge und den preußischen Hauptmann Pliesnitz. Wer sich bisher nicht für die Region oder ihre Geschichte interessiert hat, kann hier einiges an Wissen über Zeit und politische Gegebenheiten mitnehmen. Die Liebe der Autorin zu der Gegend, die ein Teil ihrer Heimat ist, ist deutlich zu spüren. Spannende Erlebnisse der Protagonisten, historische Fakten – gut verwoben, gut erzählt.

Wie in all ihren historischen Romanen oder Krimis hat die Autorin auch hier wieder viel Wert auf exakte und historisch belegte Recherche gelegt, ohne belehrend sein zu wollen oder den Erzählfluss dadurch zu stören. Wer durch die Lektüre vielleicht ein bisschen mehr über das heutige Lothringen und das Elsass oder die anderen Schauplätze des Romans erfahren möchte, der findet im Anhang eine Reihe von Tipps zu Thionville (damals Diedenhofen), den Spicherer Höhen, Metz, Straßburg, Saarbrücken oder auch Koblenz, wie auch zu speziellen Museen, die sich u.a. dem Deutsch-Französischen Krieg und der Annexionszeit widmen.

Alles in allem eine leichte, interessante Lektüre mit historischem Hintergrund und gut gezeichneten, facettenreichen Charakteren. Gemütliche Lesestunden auf dem Sofa garantiert.

Marie Pierre: Töchter des Aufbruchs: Das Pensionat an der Mosel
Heyne, Februar 2024
448 Seiten, Taschenbuch, 16,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.

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