Die 1938 geborene amerikanische Autorin Joyce Carol Oates ist nicht nur eine Vielschreiberin, sondern auch in vielen unterschiedlichen Genres unterwegs. Eines davon ist Horror – so wie in ihrer jetzt endlich auch auf Deutsch erschienenen Geschichten-Sammlung „Sieben Reisen in den Abgrund“.
Darin kommen zwar keine übersinnlichen Mächte vor, aber die Autorin führt uns in derart alptraumhafte Situationen, dass man sich mitunter kaum traut weiterzublättern, oder nur dann, wenn rings um den Lesesessel alles hell erleuchtet ist.
In der ersten Geschichte, „Die Maisjungfer“, die auch titelgebend für die bereits 2011 erschienene amerikanische Originalausgabe war („The Corn Maiden“), entführt eine irre Jugendliche ein jüngeres Mädchen. Sie will es in Anlehnung an ein alles Ritual opfern. Schnell wird ein Lehrer verdächtigt, dafür verantwortlich zu sein.
Als Leser ist man nicht nur im Kopf der wahnsinnigen Täterin, sondern erlebt auch hautnah und über viele Seiten die Qualen der Mutter und des zu Unrecht verdächtigten Lehrers. Durch die totale Nähe zum Geschehen wird das zu einem äußerst intensiven Leseerlebnis.
In den sechs anderen Geschichten ist das kaum anders. Wir erleben die brutale Rache einer jungen Frau an ihrem Stiefvater, ein Zwillingsbruderpaar, bei dem der Stärkere den Schwächeren bereits im Mutterleib unterdrückt, Mordfantasien, grausame Operationen, die schiefgehen, und noch einiges mehr, das sich getrost ans düsterste Ende des menschlichen Zusammenlebens einordnen lässt.
Wer auf „Gothic Horror“ à la Poe steht und entsprechend hartgesotten ist, der wird an diesem Buch seine helle Freude haben. Es könnte andererseits aber auch Leser geben, die die letzte Seite als höchst willkommenes Licht am Ende eines extrem dunklen Tunnels sehen.
Joyce Carol Oates: Sieben Reisen in den Abgrund.
Droemer, Mai 2019.
384 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Andreas Schröter.