Gwendolyn Brooks: Maud Martha

„Maud Martha“ ist der einzige Roman von Gwendolyn Brooks (1917 – 2000), die vor allem als Lyrikerin bekannt war.

Maud Martha erfährt schon als kleines siebenjähriges Mädchen, wie es sich anfühlt, wenn Menschen nach ihrem Aussehen beurteilt werden. Ihre Haut hat die Farbe von dunklem Kakao, ganz ohne Milch, und ihre Haare sind unbezähmbar. Sie weiß, dass sie in den Augen der anderen nicht hübsch ist und beschließt doch, jemand ganz besonderes zu sein, ein einzigartiges Maud-Martha-Kunstwerk. Sie weiß, dass sie dem alltäglichen Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft nicht entkommen kann, aber sie wird ihm nicht erlauben, ihr Leben zu bestimmen.

Gwendolyn Brooks‘ Roman erzählt in chronologisch aufeinanderfolgenden Momentaufnahmen vom Leben dieser jungen Frau im Chicago der 20er bis 40er Jahre. Ich begleite die kleine Maud Martha auf dem Weg zu Schule und stehe mit ihr am Bett der sterbenden Großmutter. Ich lese von der Enttäuschung darüber, dass die Schwester mit der hellen Haut ihr sogar in der Familie vorgezogen wird. Von der Enttäuschung, abgewiesen zu werden und von ersten Verehrern. Ich lese von Paul, neben dem ihr Körper „anfängt zu singen“ (S. 45), und der sie heiratet, weil er sie süß findet und sich selbst nicht für gutaussehend hält. Der Traum von der schicken Wohnung und Dinnerpartys zerschellt an einer Kitchenette, wo sie in zwei kleinen Zimmern leben, deren Mobiliar man nicht ändern darf und wo man sich das Bad mit anderen Bewohnern teilt.

Gwendolyn Brooks gelingt es, mit wenigen wohlformulierten Sätzen – die meisten Kapitel umfassen zwei bis drei Seiten – das Lebensgefühl in ihrem Umfeld einzufangen. Ganz gleich, ob es um rassistische Entgleisungen einer weißen Kosmetikvertreterin geht oder um Pauls begehrliche Blicke nach anderen Frauen mit hellerer Haut, – der abwertende Blick der Gesellschaft durchzieht alle Lebensbereiche. Maud Marthas wird nicht müde, ihre Würde zu verteidigen und zu bewahren. Am Ende des Buches ist sie etwa 30 Jahre alt, Mutter einer Tochter und noch immer voller Hoffnung.

Gwendolyn Brooks wiederum hat 1950 mit 33 Jahren als erste Schwarze den Pulitzerpreis für ihren Lyrikband „Annie Allen“ erhalten. Die Interviews mit Journalisten führte sie in einer Kitchenette-Wohnung. Sie wusste, wovon sie schrieb, wenn sie auch in ihren Gedichten den Rassismus in seinen vielen Formen thematisierte. Nach dem Pulitzerpreis erhielt sie noch viele Ehrungen, Schulen und andere Einrichtungen wurden nach ihr benannt, sie wurde aber vom weißen Literaturbetrieb mehr oder weniger übersehen. Es ist bezeichnend, dass ihr Roman aus dem Jahr 1953 erst 70 Jahre später und 23 Jahre nach ihrem Tod 2000 ins Deutsche übertragen und hier veröffentlicht wurde. Das hat keiner ihrer Gedichtbände bisher geschafft. Ich finde, es ist an der Zeit.

Gwendolyn Brooks: Maud Martha
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Andrea Ott
Manesse Verlag, März 2023
160 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag, 22.00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Jana Jordan.

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