Elke Becker: Das Haus Kölln: Glänzende Zeiten

Charlotte Kölln ist eine strenge Frau. Ja – fast könnte man sagen „hart“. Disziplin geht über alles. Gefühle stehen hinten an, die erlaubt man sich in ihren Kreisen nicht. Anders geht es wohl aber auch nicht, wenn man wie Charlotte Kölln plötzlich alleine da steht mit der Verantwortung für eine Kornmühle, von deren Fortbestand nicht nur das Leben der Familie, auch der Arbeiter, die dort beschäftigt sind, abhängt. Durch einen tragischen Arbeitsunfall verliert Charlotte 1886 viel zu früh ihren Mann, den Unternehmer Peter Ferdinand Kölln. Als Frau alleine kann sie das Unternehmen nicht weiterführen.

Sie kann nicht mit den Banken verhandeln, bekäme als Frau auch keine Kredite, um die geplanten Veränderungen und Erweiterungen zu realisieren. Ihr ältester Sohn Peter hat sein Studium noch nicht abgeschlossen, muss aber jetzt Verantwortung übernehmen. Für die Kornmühle und ihre Beschäftigten und für das Überleben der Familie. Charlotte lässt ihm keine Wahl. Gemeinsam führen sie die Geschäfte, Peter schließt parallel sein Studium in Pinneberg erfolgreich ab und steigt ganz in die Leitung der Kornmühle ein. Charlotte zieht weiterhin die Fäden und verliert den gesellschaftlichen Status der Familie Kölln keinen Augenblick aus den Augen.

Peters Verbindung zu Bertha, einem einfachen Mädchen, das er in Pinneberg kennen- und lieben gelernt hat, glaubt Charlotte überwunden, als Peter ganz nach Elmshorn zurückkommt. Sie hat andere Pläne für ihn. Eine standesgemäße Verbindung, die auch die Zukunft der Kornmühle sichern würde, schwebt ihr vor, und sie tut alles, um das zu erreichen. Doch Peter und Bertha lassen sich so leicht nicht auseinanderbringen. Bertha gibt ihre sichere Arbeit und ihre Ausbildung zur Konditorin in Pinneberg auf, um herauszufinden, warum sie von Peter nichts mehr hört.

Sehr zum Missfallen seiner Mutter verkündet Peter wenig später seine Verlobung mit Bertha. Im Kreise seiner Geschwister wird Bertha mit ihrer freundlichen, zupackenden Art, herzlich aufgenommen aber zwischen Charlotte und ihr herrscht Eiszeit. Bertha hält durch. Nach und nach muss denn auch Charlotte erkennen, dass sie sich vielleicht doch in Bertha getäuscht hat. Auch wenn sie der Schwiegertochter gegenüber nach wie vor ablehnend bleibt, die Enkelkinder, die Peter und Bertha ihr schenken, erweichen ihr hartes Herz. Bertha schafft es, überall im Ort beliebt zu sein, mit anzupacken, wenn Not am Mann ist und für alle ein freundliches Wort zu haben. Das zahlt sich aus, als die Familie Kölln nach Jahren selbst in Not gerät und auf die Hilfe von Freunden und Nachbarn angewiesen ist.

Charlotte und Bertha – zwei Frauen aus ganz unterschiedlichen Milieus, mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen und Einstellungen sind gezwungen, miteinander auszukommen, unter einem Dach zu leben. Beide starke Charaktere, beide nicht gewillt, sich unterkriegen zu lassen. Elke Becker zeichnet ein Gesellschaftsbild, das uns heute ziemlich überholt vorkommt, das aber, wenn man mal zurückrechnet, erst knapp 150 Jahre alt ist und damit noch gar nicht soooo weit weg. Ein sehr eindrückliches, anschauliches Bild von Familie, Unternehmertum und Arbeitsleben. Die Geschichte der Familie Kölln ist, innerhalb wohl recht weniger historisch belegter Fakten, ein gelungener Roman über die unterschiedlichen Lebensentwürfe und möglichen Biografien.

Die Probleme der Frauen im ausgehenden 19. Jahrhundert, dass sie nicht studieren durften, kein Unternehmen leiten, keine Geschäfte abschließen, sich in sehr engen Konventionen bewegen mussten, sind sehr anschaulich und nachvollziehbar dargestellt. Auch die Rahmenbedingungen, unter denen die Kornmühle um ihren Fortbestand kämpfen musste – etwa die Zeit der Cholera in Hamburg – sind realistisch und belegt. Die Schicksalsschläge, die die Familien erleiden müssen, mögen vielleicht nicht belegt sein, zeigen aber doch, wie man zu dieser Zeit damit umgegangen ist.

Die Beharrlichkeit von Frauen, die ein Ziel hatten, eine Vorstellung von ihrer persönlichen Zukunft und die Strapazen, die sie dafür auf sich nehmen mussten, ringen einem Respekt ab. Etwa Luise, die gerne die Apotheke ihres Vaters weiterführen möchte und sich dafür zunächst als Gasthörerin einschreiben lässt, was ihr schon eine ganze Menge abverlangt, dann später in die Schweiz geht, um einen Abschluss machen zu können,  oder Marie, die Rebellin, die gerne Maschinenbau studieren möchte, gegen alle Konvention und vor allem gegen den erklärten Willen der Mutter.

Auch sie nimmt es auf sich, zunächst in ein Internat in der Schweiz verbannt zu werden, weil sie in Elmshorn „nicht zu bändigen“ ist und daraus das Beste zu machen, nämlich ihr Studium in der Schweiz aufzunehmen. All das kann man sich heute nicht mehr wirklich vorstellen. Elke Becker macht uns mit ihrem interessanten Roman wieder einmal klar, was alles eben einmal nicht selbstverständlich war.

Elke Becker: Das Haus Kölln: Glänzende Zeiten
Heyne, Januar 2024
430 Seiten, Taschenbuch, 12,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.

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