Der in Wien lebende Autor David Schalko zeigt den tiefen Fall seines Protagonisten Felix, dessen nachhaltige Firma „Wastefood“ die Coronazeit nicht überlebt hat. Mit dem Verlust seiner Arbeit verliert Felix seinen Platz in der Gesellschaft, seine Struktur, seinen Tagesablauf. Doch die Probleme des 38-Jährigen haben bereits vor der Pandemie begonnen: seine soziale Isolation, sein Nomadentum, die Getriebenheit, die mangelnde Empathie für die Bedürfnisse anderer. Dazu das schwierige Verhältnis zu seinem Vater, die Fragen nach dem Sein, Schein und Status. Felix ist immer auf der Suche nach Berührung und hält sich die Welt doch stets auf Distanz.
Kompromisslose Metaphern und Zitate
Radikal lässt Schalko seine Figur an den Rand der Existenz und darüber hinaus taumeln. Surreale Ereignisse, verworrene Gedanken und Wegbegleiter, die selber straucheln – der Autor erspart seiner Figur nichts. Im Gegenteil: Er dekonstruiert sie mit Genuss. Das alles liest sich ebenso faszinierend wie erschreckend. Und setzt gleichzeitig der Gesellschaft einen Spiegel aus Scherben vor. Daneben schafft der Autor Sätze und Metaphern, die so kompromisslos schön sind, dass man nicht weiß, ob man sie übers Bett hängen oder auf eine öffentliche Toilette kritzeln soll. Beispiele: „Liebe ist, wenn man den anderen mit sich selbst verwechselt.“ (S. 120)oder „Wer bei sich selbst ankommt, fährt in einen leeren Bahnhof ein.“ (S. 267)
Nach dem Verlust seiner Firma kann sich Felix zu nichts mehr aufraffen. Um finanziell über die Runden zu kommen, beschließt er, seine Stadtwohnung eine Woche pro Monat an Touristen zu vermieten. Solange versucht er bei Freunden oder Verwandten unterzukommen. Seine prekären Umstände verheimlicht er. Motto: Bei mir sind gerade die Handwerker zu Hause, kann ich ein paar Tage bei dir wohnen? Doch als Felix in die privaten Bereiche anderer Leute einbricht, erkennt er schnell, dass hinter jeder perfekten Fassade Abgründe lauern.
Sein bester Freund ist durch das Erschaffen einer virtuellen Welt zu viel Geld gekommen, scheint aber in der realen Welt die Grenzen des Zusammenlebens aus den Augen zu verlieren. Felix Ex-Freundin erstickt am Familienleben. Sein Vater knipst Dinge, die keiner knipst. Rastlos zieht Felix weiter, bricht mit den letzten Bezugspersonen. Er wird obdachlos und zum Voyeur, trampt ziellos umher, trifft einen geheimnisvollen Fremden, der ihn zu einem mysteriösen Tausch überredet.
Von Algorithmen bis Cancel Culture
Was bringt der Tag, wenn man nichts zu tun hat? Wenn man nichts vom Leben erwartet, sich einfach treiben lässt? Ist Eigentum Autonomie oder macht es einen angreifbar? Brauchen wir Rage Rooms statt Cancel Culture? „Ich will nicht authentisch sein. Dafür bin ich zu viele. Ich will verschwimmen. Für keinen Algorithmus greifbar. Aus den Zielgruppen ausbrechen. Das ist Freiheit.“ (S. 242).
Felix Absturz oder vielmehr seinem Ausklinken aus den Strukturen der Gesellschaft kann man sich emotional nicht entziehen. Das Ich im Kontext der Moderne. Eine Zerreißprobe. Einfache Antworten liefert dieses Buch nicht. Wohl aber jede Menge kluger Fragen.
David Schalko: Was der Tag bringt.
Kiepenheuer & Witsch, April 2023.
304 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.