Charlotte McConaghy: Zugvögel

Die Tiere sterben. Bald sind wir hier ganz allein.“ So beginnt dieser Roman, der in einer Zukunft spielt, in der die Wildtiere nahezu ausgestorben sind. Die Meere sind leergefischt, in den Wäldern leben keine Füchse, Rehe und Wildschweine mehr, Schutzprogramme gibt es nur für Tierarten, die der Mensch braucht.

Küstenseeschwalben gelten als die Zugvögel mit der längsten Zugstrecke überhaupt. Sie brüten in der Arktis und fliegen auf dem Weg in die antarktischen Überwinterungsgebiete und zurück in jedem Jahr eine Strecke von bis zu dreißigtausend Kilometern, fast einmal um die Erde.

Die Forscherin Franny Lynch will den letzten Küstenseeschwalben übers Meer folgen. „Vielleicht hoffte ich ja, er würde mich dorthin führen, wohin sie alle geflüchtet waren, […] all die Lebewesen, die wir getötet zu haben glaubten. […] Oder ich hoffte einfach nur, die letzte Reise dieses Vogels würde mir einen Ort zeigen, wo ich hingehörte.“ (Zitat Kap. 1) Denn Franny ist selbst ein Zugvogel, sie kann nicht an einem Ort bleiben.

In Tasiilaq in Grönland stattet sie drei Küstenseeschwalben mit Peilsendern aus und überzeugt Ennis Malone, den Kapitän eines der letzten Hochseefischerboote, der Route in die Antarktis zu folgen. Wenn es noch irgendwo Fische gibt, werden die Küstenseeschwalben sie finden. Ennis ist auf der Suche nach dem Goldenen Fang, Franny sucht ein Wunder. Es beginnt eine abenteuerliche Reise, stellenweise geschrieben wie ein Seefahrerroman, mit unnahbarem Käpten, Wellen, Stürmen, von Tauen aufgerissenen Händen, der endlosen Weite des Meeres, einer bunt zusammengewürfelten Besatzung, großen Fängen, die verloren gegeben werden müssen. Eigentlich kann die Reise nur in der Katastrophe enden. Die Autorin streut Episoden aus Frannys dunkler Vergangenheit ein, über die dramatische Familiengeschichte, die besondere Liebe zu Ehemann Niall, über die Tatsache, dass Franny den Tod zweier Menschen verschuldet hat. Manchmal ist es für mich zu viel von allem, zu herzzerreißend, zu widersprüchlich, zu … gewollt.

Doch ich habe Wind und Salz im Gesicht, ich schwimme mit Franny im eiskalten Meer, fühle beim Anbringen des Peilsenders das Herzklopfen der Seeschwalbe in meiner Hand, sehe den leeren Himmel und wünsche mir, er wäre voller Vögel. Die Passagen über die Schönheit der Natur sind poetisch und wunderbar gelungen.

Die Reise endet anders, als ich es erwartet habe – wobei ich zugeben muss, dass ich keine Vorstellung hatte, wohin all dies führen könnte. Franny kommt an. An einem Ort, über den ich nichts verraten möchte, und bei sich selbst.

Ein gut geschriebener, unterhaltsamer Roman mit einer Botschaft, die in unsere Zeit passt.

Charlotte McConaghy: Zugvögel.
Fischer, August 2020.
400 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Ines Niederschuh.

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