Anthony Powell: Eine Frage der Erziehung (1951)

„… Damals jedoch war mir nicht so klar bewusst, dass die Wahl zwischen Würde und unbefriedigter Neugier eine grausame, aber notwendige Entscheidung darstellte.“ (S. 143)

Für Nicholas Jenkins sind die letzten Jahre vor seinem Studium nicht nur eine Frage der Erziehung sondern auch eine, ob er sich zwischen den Gleichaltrigen aus der englischen Oberschicht behaupten kann. Sie symbolisieren gleichzeitig ein unsichtbares Räderwerk aus Beziehungen und Geld, das seine Schützlinge in wichtige Positionen des gesellschaftlichen Lebens hieven wird. Während Jenkins sein Studium zum Abschluss bringen will, sucht er einen Platz in dieser Gesellschaft, die nach dem Ersten Weltkrieg den Aufbau des Landes vorantreibt.

Bei Einladungen in die Familien seiner Freunde erfährt Jenkins, wer zum inneren Kreis gehört und wer nicht. Sehr schnell erfährt der Betroffene, wie es sich anfühlt, im Zentrum von Missachtung und seltsamen Späßen zu stehen und mit seinen Peinigern gemeinsam zu lachen. Und wenn zum Spaß auch noch Rachegelüste hinzukommen, wird die Person non grata bei passender Gelegenheit als vermeintlich gesuchter Verbrecher angezeigt, um die Aufregung nach dessen Verhaftung zu genießen. Weiterlesen

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Erich Kuby: Rosemarie (1958)

1958 veröffentlichte Erich Kuby seinen Roman Rosemarie, der inhaltlich anders gewichtet ist als seine Verfilmung. Im Zentrum steht Rosemaries Geschichte, die im Deutschland der Nachkriegszeit, einer Zeit des Aufbruchs und des anwachsenden Wohlstands geschah und in der Presse 1957 für viel Wirbel sorgte. In seinem Vorwort schreibt Erich Kuby, dass es ihm weniger darum ging ein Kunstwerk zu schaffen. Er wolle „… eine Erschütterung des Ansehens, welches die Rosemarie-Kunden als Leitbilder unserer Gesellschaft skandalöserweise genießen …“ (S. 10)

Es gibt viele Rosemaries, die keiner beachtet und unbeachtet ihr Leben verlieren. Die eine, über die der Autor schreiben musste, erfuhr über einen Zufall ihren sensationellen Aufstieg, den einflussreiche und vermögende Kunden förderten. Parallel hierzu beschreibt Erich Kuby die Machenschaften einiger Bonzen, die in die Rüstungsindustrie einsteigen wollten. Die Dynamik der Gier und das Streben nach Macht entfachten ein durchtriebenes Spiel, in dem Rosemarie unter anderem als Lockvogel eingesetzt wurde.

Erich Kuby (1910 – 2005) wurde posthum mit dem Kurt-Tucholsky-Preis ausgezeichnet. Der Chronist der Bundesrepublik Deutschland pflegte in seinen Büchern gesellschaftliche Missstände zu kritisieren. Nach der Verfilmung schrieb er mit schneller Hand das Buch Rosemarie und traf damit eine neue Perspektive auf die Rollenbilder erfolgreicher Geschäftsmann und starker junger Frau, die eine Geschäftsbeziehung auf Augenhöhe pflegten. Weiterlesen

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Agatha Christie: Das fehlende Glied in der Kette: Poirots erster Fall (1920)

Eigentlich sollte Hastings sich auf dem Anwesen seines alten Freundes John Cavendish von seinem Einsatz im Krieg ausruhen. Doch kaum angekommen überschlagen sich die Ereignisse: Die wohlhabende Witwe Emily Ingleothrop, Stiefmutter von Hastings Freund John und dessen Bruder, stirbt in ihrem Bett an unerklärlichen Krämpfen. Als herauskommt, dass sie vergiftet wurde, scheint die Sache sofort klar: Der Täter muss der neue und sehr viel jüngere Ehemann sein. Der Ansicht sind zumindest alle Bewohner des Hauses. Doch wie bald herauskommt haben sie selbst ebenfalls alle ein Motiv für den Mord und Scotland Yard glaubt kurz darauf, den wahren Mörder erkannt zu haben.

Hercule Poirot, der zur rechten Zeit am rechten Ort war, hat seine ganz eigenen Theorien zu dem Fall. Ihm fehlt jedoch ein wichtiger Hinweis, das fehlende Glied in der Kette, ohne das auch er Schwierigkeiten hat, hinter die mysteriösen Zusammenhänge des Mordes zu kommen. Für ihn deutet alles darauf hin, dass Mrs. Inglethorp nicht an diesem Tag hatte sterben sollen.

Ein unerklärliches Rätsel stellt vor allem das Gift dar. Zwar starb Mrs. Inglethorp nachweislich daran und ihr Kaffee hätte mit Leichtigkeit vergiftet werden können, doch unerklärlicherweise stirbt sie sehr viel später, als Gift im Kaffe es bewirkt haben könnte. Die Frage ist also nicht allein, wer Mrs. Inglethorp tötete, sondern auch, wie sie starb. Weiterlesen

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Fürst Lahovary/Georges Manolescu: Mein abenteuerliches Leben als Hochstapler (1905)

Anfang des vorigen Jahrhunderts war ein Mann sehr bekannt, der als Urbild des Hochstaplers gilt: Georges Manolescu, der sich zeitweise auch „Fürst Lahovary“ nannte. Sogar der große Thomas Mann hat aus diesem Fall Inspiration für seinen berühmten „Felix Krull“ gezogen.

Der Manesse-Verlag, der sich auf Klassiker spezialisiert hat, hat nun erneut die Memoiren Manolescus herausgebracht, die bereits 1905 entstanden sind. In abgehobener, manierierter Weise, wie es sich für einen Hochstapler gehört, beschreibt Manolescu frei von jeder Moral, wie er Hotelzimmer ausraubt, auf der Suche nach Frauen ist, die über genügend Geld verfügen, und generell auf großem Fuße lebt, um seine Umwelt zu beeindrucken. Unglücklicherweise (aus seiner Sicht) bezahlt er diesen Lebensstil mit längeren Aufenthalten in Gefängnissen und sogar in der Irrenanstalt. Doch auch dort verliert er nicht die Fasson. Weiterlesen

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Ray Bradbury: Fahrenheit 451 (1953)

In diesem Zukunftsroman ist Lesen eine Straftat. Der Besitz von Büchern ist verboten, Wissen und Allgemeinbildung sind unerwünscht. Die breite Masse der Menschen wird von den Medien gesteuert, ist einfältig und willenlos. Doch das wird als Segen gedeutet, denn die emotionslose Masse, hat keinen Grund mehr, unglücklich zu sein: Wer nichts weiß, kann sich keine Meinung bilden und wer keine Meinung hat, der streitet sich nicht.

In dieser Welt lebt der Feuermann Guy Montag. In seinem Beruf hat er die Aufgabe, Bücher zu verbrennen. Nachbarn und Verwandte zeigen immer wieder Menschen an, die gegen das Gesetzt Bücher bewahrt haben und als Bewahrer des Friedens, vernichten die Feuermänner diese.

Montag denkt nicht sonderlich viel über seine Arbeit nach, bis er ein Mädchen trifft, die die Welt mit anderen Augen sieht und ihn dazu bringt, eigene Gedanken zu formen. Ihr plötzlicher Tod, sowie ein traumatischer Einsatz, bei dem nicht nur Bücher, sondern auch ihre Besitzerin verbrannt werden, werfen Montag komplett aus seinem eingefahrenen Leben.

Er versucht, sich gegen das kranke System zu wenden, muss aber feststellen, dass kein vertrauter Mensch ihm zu folgen bereit ist. Als herauskommt, dass er selbst im Besitz einiger Bücher ist, findet er sich auf der Flucht vor bekannten Gesichtern wieder. Weiterlesen

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Joris-Karl Huysmans: Lourdes: Mystik und Massen (1906)

1906 veröffentlichte Joris-Karl Huysmans (1848-1907) seinen Erfahrungsbericht über den berühmten Wallfahrtsort Lourdes, wo Pilger und Kranke um Wunder und -heilung beten. Über zwei Jahre widmete er sich dem Thema Mystik und Massen und begann mit der Außensicht. Er schaute dabei so genau hin, dass auch der Kunstkritiker in ihm zu Wort kommen musste. „In Lourdes herrscht ein derartiges Übermaß an Banalität, ein solcher Blutsturz des schlechten Geschmacks, dass sich zwangsläufig der Gedanke an einen Einfluss aus den tiefen der Hölle aufdrängt.“ (S. 78) Zur künstlerischen Gestaltung der Basilika schreibt er: „… Es handelt sich tatsächlich nicht um einen Mangel an Talent, sondern es fehlen das ABC und die Grundlagen, und es handelt sich hier um die absolute handwerkliche Unfähigkeit gesteigert durch die infantile Sentimentalität des Arbeiters aus katholischem Umfeld, der einen im Tee hat!“ (S. 81)

Bekannt wurde der Autor über seine Romane und Literaturkritik. Sein Hauptwerk beschäftigt sich mit der Dekadenz, die unweigerlich auch in seinem Bericht mitschwingt. Die Natur des Menschen im Allgemeinen und die des Kritikers stoßen frontal aufeinander: „Niemand glaubt mehr an die Redlichkeit der Politiker, …, an die Unabhängigkeit der Justiz. … Es herrscht momentan eine Art Malaria der Respektlosigkeit, und niemand kann sich dieser Infektion der Seele entziehen, jeden hat sie mehr oder weniger infiziert, denn niemand kann den Einflüssen seiner Zeit entkommen …“ (S. 183)

In verschiedenen Kapiteln arbeitet sich der Autor durch die Themen Religion,  Wunderheilung sowie die Begleitumstände der Pilgeranstürme. Vieles missfällt ihm und findet Eingang in seinen Beschreibungen, meist mit dem abschließenden Ausrufezeichen. Huysmans zetert, kritisiert, staunt, schimpft, lästert, wundert sich, denkt analysierend über das Phänomen Lourdes nach. Weiterlesen

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Sylvia Townsend Warner: Lolly Willowes oder Der liebevolle Jägersmann (1926)

Lolly Willowes ist Sylvia Townsend Warners Debütroman, den man als Ermunterung zur Unabhängigkeit und Eigenständigkeit alleinstehender Frauen des 19. Jahrhunderts werten kann.

Als die Protagonistin Laura Willowes geboren wird, schreiben wir das Jahr 1874. Sie wächst mit zwei älteren Brüdern in der Grafschaft Somerset, im Südwesten Englands auf. Ihr Vater Everard ist vernarrt in das Mädchen. Später, als sie im heiratsfähigen Alter ist, lebt ihre Mutter nicht mehr und das Mädchen vergleicht alle Verehrer mit dem Vater. Keiner der jungen Männer kann diesem Vergleich standhalten.

Nach dem Tod des Vaters zieht Laura zu ihrem älteren Bruder Henry und dessen Frau Caroline nach London. Ihre Nichte Fancy verpasst ihr den Namen Lolly und so lässt sie ihren alten Vornamen Laura zusammen mit ihrem vorherigen Leben in der Grafschaft zurück. Alle wohlgemeinten Versuche von Henry und Caroline, Lolly zu verheiraten, scheitern. Lolly passt sich dem Familienleben im Haus des Bruders an. Sie liebt die Botanik, kauft gerne exotische Blumen, doch ihre Gedanken gehen ganz andere Wege. Der Geruch von Buchenzweigen, die sie geschenkt bekommt, inspirieren ihre Fantasie und von da an will sie unbedingt weg von London und in den unbedeutenden kleinen Ort Great Mop, in die Chiltern Hills  wegziehen. Damit möchte Lolly sich verwirklichen, sich den Einschränkungen in der Familie ihres Bruders nicht länger unterwerfen, vor allem aber will sie sich der männlichen Dominanz und Präsenz von Bruder und Neffe entledigen. Weiterlesen

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Ann Petry: The Street/Die Straße (1946)

Es gibt Menschen, die glauben der Lüge, jeder sei seines Glückes Schmied. Doch Lutie Johnson begreift allmählich, dass hinter den Fehlschlägen ein Plan steckt, der insbesondere von weißen Händen arrangiert worden ist. Hinter jeder offenen Tür, die ein besseres Leben verspricht, findet sie einen neuen Käfig, der ihr immer weniger Schlupflöcher erlaubt.

Die alleinerziehende junge Mutter eines achtjährigen Jungen verlässt das untervermietete Zimmer bei ihrem Vater, weil dessen Lebensgefährtin ihrem Sohn Alkohol und Zigaretten gibt und in seiner Nähe der Prostitution nachgeht.

Lutie will für ihren Sohn einen besseren Start ins Leben. Also zieht sie in Harlem in eine billige Dachgeschosswohnung. Die Straßen in ihrem neuen Umfeld erweisen sich viel zu schnell als das, was sie nie wollte: einen sozialen Brennpunkt, in dem besonders Frauen schlecht behandelt werden. In Harlem, dem Viertel der Farbigen, lebt auch ein alter weißer Mann. Mit viel Geschick ist er reich und einflussreich geworden. Ihm würde es gefallen, wenn es Lutie so schlecht ginge, dass sie wie die anderen Frauen ihren Körper verkauft. Zur gleichen Zeit stellt ihr der Hausmeister nach. Luties Zuhause erweist sich jeden Tag mehr als eine Falle, in der auch ihr Sohn gefangen ist.

Die Straße zeigt ihr hässlichstes Gesicht; ihr scheint niemand aus eigener Kraft zu entkommen.

Ann Petrys fesselnder Debütroman The Street, übersetzt von Uda Strätling, wurde 1946 erstmalig veröffentlicht; ein Jahr nachdem James Baldwin dem Tod bringenden Rassismus in den USA den Rücken kehrte und mit 40 Dollar Startkapital sein schriftstellerisches Schaffen in Frankreich fortsetzte. Seine Aussage, er sei kein Nigger, er sei ein Mensch, wurde berühmt. Weiterlesen

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Matthew G. Lewis: Der Mönch (1796)

Was ist das für ein Buch, das Frank Festa uns in seinem Verlag dieses Mal offeriert? Schon äußerlich kommt das Werk als etwas ganz Besonderes daher. Rundum-Farbschnitt in Schwarz, dazu farbenprächtige Cover-Illustrationen aus der Werkstatt von Timo Wuerz, die neben dem in Lederoptik ausgeführtem Umschlag auch auf dem Deckel des Hardcovers nochmals abgedruckt wurden, dazu Fadenheftung und Lesebändchen – man merkt dem Buch an, dass es etwas Besonders ist. Limitiert auf 1500 Exemplare ist die Auflage auch, und mit einem immerhin fünfzehn-seitigem Vorwort aus der Feder des Kings, Stephen King versehen. Dazu gesellen sich sechs ganzseitige Illustrationen aus den Pariser Ausgaben von 1797 und 1807, ein Porträt des Autors sowie Reproduktionen der drei ursprünglichen Titelseiten. Das Wichtigste aber, Festa hat den Titel, der bereits diverse deutsche Ausgaben erleben durfte – die legendäre Bibliotheka Dracula aus dem Hanser Verlag hatte ihn auch in ihrer Edition – nicht einfach neu aufgelegt, nein, er wurde komplett neu von Michael Siefener nach der ungekürzten dreibändigen Erstausgabe von 1796 aus der Abschrift in der British Library übersetzt.

Man kann also getrost sagen, dass nun erstmals der komplette Text in einer mustergültigen Übertragung auf Deutsch vorliegt. Und das Ergebnis kann sich, vergleiche oben, nicht nur sehen, sondern auch lesen lassen! Die Beschreibung der Verführung des sittenstrengen Mönchs Ambrosio durch die von Satan gesandte Hexe Matilda wird ganz neu erlebbar. Weiterlesen

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Anita Brookner: Hotel du Lac (1984)

Anita Brookner gewann 1984 völlig überraschend den Booker Prize für ihren vierten Roman Hotel du Lac, der im selben Jahr beim Verlag Jonathan Cape in London erschien.

Elke Heidenreich hat für dieses Buch ein langes, aufschlussreiches Vorwort verfasst.

Heldin der Geschichte ist die Schriftstellerin Edith Hope, die unter Pseudonym schreibt und sich für längere Zeit ins Hotel du Lac in der Schweiz einmietet. Sie hat ihr gewohntes Lebensumfeld in England nach einem Skandal, den sie ausgelöst hat, verlassen und erhofft sich, hier am Genfer See zur inneren Ruhe zu kommen. Außerdem will sie einen Roman zu Ende schreiben, was ihr jedoch nicht gelingen will. Zu sehr ist sie noch mit ihrem eigenen Problem beschäftigt, das sie nicht loslässt. Allzu viel Ablenkung bringen ihr die Spaziergänge am See und die Cafébesuche letztlich  nicht. So konzentriert sie sich mehr auf die anderen Hotelgäste. Sie kann nicht anders, als diese Menschen um sie herum auf sich wirken zu lassen und sich deren Biografien auszudenken. Wem, wenn nicht ihr, einer Schriftstellerin könnte dies besser gelingen? – Bald stellt sich heraus, dass Edith zwar eine feine Beobachterin ist, jedoch scheint sie mehr in ihrer eigenen, fiktiven Welt als in der Realität beheimatet zu sein.

Die weiteren Hotelgäste sind Menschen mit ihren ureigenen unterschiedlichen Problemen und Krisen, wie wir sie kennen. Oft trügt der äußere Schein wie der einer Baronin, dem Mutter-Tochter-Duo Pusey, der Hundebesitzerin Monika oder Mr. Neville, der Edith Hope erkennt. Weiterlesen

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