Ariel Magnus: Tür an Tür: Nazis und Juden im argentinischen Exil

Ins Exil gehen und dort genau den treffen, vor dem man geflohen ist

Ariel Magnus, der heute in Deutschland lebt, ist in Argentinien geboren und aufgewachsen, als Sohn jüdischer Eltern, die von jenen abstammen, die vor den Nazis flohen. Dort aber lebten sie „Tür an Tür“ mit genau jenen, vor denen sie flüchten mussten.

In einzelnen Kapiteln beleuchtet der Autor die Schwierigkeiten und vor allem die Gefühle, die diese Lebenssituation für ihn und seine Familie, aber auch für alle anderen Juden in Argentinien bedeutet.

Dass Argentinien beliebtes Auswandererland ist, gilt schon viel länger als erst seit den Jahren der Nazi-Herrschaft in Deutschland. Wie es oft so kommt, blieben auch hier die Auswanderer unter sich, gründeten gar eigene Orte, ganz nach deutschem Vorbild. Und brachten ihre politischen Ansichten, ihre Überzeugungen und ihre Vorurteile mit in ihre neue Heimat.

Was wiederum dazu führt, dass auch die Feindschaften bestehen bleiben. So gab es beispielsweise deutsche Schulen, die aber nur von nicht-jüdischen Kindern besucht werden durften. Diese gingen daher auf eine eigens für sie gegründete Schule. Beim Aufeinandertreffen der Schüler solcher Schulen, beispielsweise bei Fußballturnieren, kam es dann immer wieder zu antisemitischen Anfeindungen der Kinder untereinander.

Die neuen und alten Nazis wurden in Argentinien mit wesentlich offeneren Armen aufgenommen als die jüdischen Flüchtlinge. Sie erhielten mehr Unterstützung, mehr Förderung. Es gab Orte, Clubs, Universitäten und vieles mehr, was auch in Argentinien für die Juden unzugänglich war. Es gab Zeitungen und Bücher, die die Naziideologie weiterverbreiteten und in den südamerikanischen Land auf durchaus fruchtbaren Boden fielen, sogar in Regierungskreisen.

All dies erzählt der Autor in keineswegs larmoyanter Weise, sondern mit Lakonie und leiser Ironie, dabei nimmt er auch die eigenen Leute immer mal wieder auf den Arm, stets liebevoll und mit Verständnis. Doch immer legt er den Finger tief in die Wunde, er berichtet ohne zu richten, überlässt der Leserin die Interpretation.

Das Buch ist dabei trotz des sehr leichtfüßigen, flüssigen Stils nicht immer leicht zu lesen. Das liegt an den ellenlangen, mehrfach verschachtelten Sätzen, die mit Einschüben, Klammern, Verweisen und Zitaten gespickt sind. So dass man manchmal am Satzende vergessen hat, wie es begann und worum es eigentlich ging.

Die wenigen Seiten dieses Buch sind hochinteressant, denn über dieses Thema war mir bislang nicht viel bekannt. Vor allem auch unter dem Aspekt, über wie viele Generationen die Nazivergangenheit auf beiden Seiten nachwirkt: „Die Rachegedanken sitzen auch noch in der dritten Generation tief, selbst wenn man als Jude, vor allem in Deutschland, manchmal positiven Vorurteilen begegnet, da man automatisch von jedem Vorwurf des Nazihintergrunds befreit ist. … Wie auch immer, die Spannungen bleiben bestehen, wie übrigens in allen Dörfern, durch deren Mitte ein Fluss fließt.“ (S. 160).

Ein ernstes Thema gut lesbar und fesselnd beschrieben. Empfehlenswert

Ariel Magnus – Tür an Tür: Nazis und Juden im argentinischen Exil
Kiepenheuer & Witsch, Mai 2023
Gebundene Ausgabe, 172 Seiten,  20,00 €

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.

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