Annette Mingels: Der letzte Liebende

Die Kölner Autorin und Literaturwissenschaftlerin Annette Mingels (Jahrgang 1971) ist promovierte Germanistin. Sie schreibt Romane und Erzählungen. Mingels lebte einige Jahre in den USA. 2020 erschien der Erzählband „Dieses entsetzliche Glück“ mit Geschichten aus dem fiktiven Hollyhock, Virginia. Am 30. August 2023  veröffentlichte der Penguin Verlag ihren neuen Roman „Der letzte Liebende“.

Zu diesem Roman haben unsere Rezensenten Sabine Sürder und Andreas Schröter ganz unterschiedliche Meinungen. Wir veröffentlichen hier beide. Teilen Sie uns gerne Ihre Meinung in den Kommentaren unten mit.

Aber zunächst zum Inhalt:

Im neuen Roman von Annette Mingels „Der letzte Liebende“ geht es um Carl Kruger, der als emeritierter Chemieprofessor in Montclair, New Jersey, lebt.Er ist um die 80 Jahre alt, einsam und hat seine Schwierigkeiten, mit diesem Lebensabschnitt klarzukommen. Seine Frau Helen stirbt an Krebs, und seine Adoptivtochter Lisa bekundet ihm permanent ihre Abneigung, weil er Helen früher mit einer Vielzahl von anderen Frauen betrogen hat.

Carl musste im Kindesalter mit seiner Familie aus dem heutigen Polen fliehen, lebte dann in Ostdeutschland und ist schließlich in die USA ausgewandert. Ein Ausflug nach Europa zu den Stätten seiner Vergangenheit läuft nicht rund. Zum einen machen ihm gesundheitliche Probleme zu schaffen, zum anderen verläuft der Besuch bei seinem älteren Bruder Konrad alles andere als konfliktfrei.

Sabine Sürders Kommentar fällt so aus:

Annette Mingels gliedert ihren Roman „Der letzte Liebende“ in drei Teile. Insgesamt erzählt sie die Geschichte über ein Jahr hinweg. Im ersten Teil lernen wir als Lesende Carl Kruger kennen. Er lebt mit seiner todkranken Frau Helen getrennt auf zwei Etagen eines Apartments in Montclair. Adoptivtochter Lisa besucht ihre Mutter täglich. Die Eheleute haben sich nichts mehr zu sagen. Und Helen stirbt ohne Versöhnung. Annette Mingels hat sich für ihre Figuren dieses triste Ausgangsszenario ausgedacht. Mit Carl Kruger erschafft sie eine zutiefst egoistische, arrogante und wenig sensible Figur, die dem Prototyp eines weißen, alten Macho-Mannes entspricht. In Carl Krugers Welt dreht sich alles um Carl Kruger, den das Alter auch noch selbstmitleidig und jammernd hat werden lassen. Ist für mich als weibliche Leserin diese Figur schon eine Zumutung, so enthält die Geschichte in ihrem zweiten Teil, in dem sich Carl, Lisa und der Enkel Collin auf die Reise nach Ostdeutschland und Polen zu den Herkunftsländern der Familie machen, weiteres Ungemach. Carl, der früh in den Westen und später in die USA emigrierte, hat null Beziehung zu seiner Familiengeschichte bzw. zu seinen noch lebenden Brüdern. Unfähig sich auf Umgebung oder Menschen einzulassen, bleibt Carl Kruger Carl Kruger, wie es in dem Zitat von Nick Cave heißt, das dem Buch vorangestellt ist: „Du kannst dich mehrfach häuten, aber wirst immer dieselbe verdammte Schlange bleiben.“  Im dritten und letzten Teil des Buches wird Carl Kruger auch noch zweifelhafter Ruhm zuteil, in dem er als Inspiration zu einer Hauptfigur in einem gerade erschienenen Roman dient, der von einem ehemaligen Kollegen und Freund geschrieben wurde. Und rührseliger Weise wird ein Hund sein neuer Gefährte. Was anderen Schriftstellerinnen und Schriftstellern gelingt, die über alte, weiße Männer geschrieben haben, nämlich, dass diese Figuren durchaus Veränderungspotenzial und Selbstreflexion haben können, bleibt bei Annette Mingels aus. So stehe ich am Ende von Annette Mingels’ „Der letzte Liebende“ da und frage mich, warum ich mich über 300 Seiten lang mit dem faden Schicksal eines lernunfähigen „Helden“ beschäftigt habe und ob der Titel wohl ironisch gemeint sein soll.

Dazu meint Andreas Schröter: 

„Der letzte Liebende“ ist ein psychologisch sehr glaubwürdiger Roman, der tief ins Innere seiner Hauptfigur eintaucht. Vor unserem inneren Auge entsteht ein Mensch, der mit den Zumutungen des Altwerdens zu kämpfen hat. Als ihn ein kleiner Junge fragt, ob er Freunde hat, muss er wahrheitsgemäß mit „Ich weiß nicht“ antworten. Im Gegenteil: Bekannte oder ehemalige Geliebte, von denen er einst glaubte, sie stünden auf seiner Seite, wenden sich von ihm ab. Und auch neue Frauen für sich zu interessieren, fällt ihm schwerer als früher. Alte Sicherheiten, auch die Selbstsicherheit, brechen weg.

„Der letzte Liebende“ ist ein sehr heutiger Roman, der sowohl die aktuellen Konflikte zwischen den Generationen, als auch Geschehnisse unserer Zeit thematisiert – wie die Corona-Pandemie oder den Ukraine-Krieg.

Eine zentrale Rolle spielt die Familie. Welchen Zusammenhalt und Zufluchtsort bietet sie trotz aller Konflikte und Andersartigkeiten und wo gibt es dabei Grenzen? Insgesamt sehr lesenswert. 

Annette Mingels: Der letzte Liebende.
Penguin Verlag, August 2023.
304 Seiten, Gebunden, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder und Andreas Schröter.

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Ein Kommentar zu “Annette Mingels: Der letzte Liebende

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