Undine Zimmer: Nicht von schlechten Eltern

undJeder in Deutschland kennt vermutlich inzwischen den Begriff „Hartz IV“. Die meisten von uns verbinden damit bestimmte Vorstellungen und oft haben diese mit gewissen Unfähigkeiten der Betroffenen zu tun. Undine Zimmer ist mit einer Mutter mit Hartz IV-Einkommen aufgewachsen und weder auf sie noch auf ihre Familie passt eines der vielen Vorurteile. In ihrer Familie wurden Bücher und Zeitungen gelesen, ihre Mutter kann kochen und bemüht sich unverdrossen immer wieder um Arbeit. Trotzdem reicht es nie, um aus der Sozialfalle herauszukommen.

Undine Zimmer erzählt uns jedoch nicht die Geschichte ihrer Mutter, sondern sie erzählt ihre Geschichte. Heute ist sie Autorin, Journalistin, hat sich getraut. In ihrem Buch beschreibt sie, was ihren Weg dorthin so furchtbar schwer gemacht hat. Dabei ist es oft gar nicht das reine Geld, das fehlt, sondern es ist dieses ständige „Gefühl“, das ich zwar verstehen konnte, solange ich das Buch gelesen habe, das man aber als nicht Betroffener nur verstehen, nicht nachfühlen kann. Ich musste im Laufe der Lektüre feststellen, wie leicht es mir fällt, einfach mal zu sagen „dann eben nicht“, wenn etwas nicht so klappt, wie ich mir das vorgestellt hatte. Aber wäre dieses „nicht“ auch dann noch so leicht, wenn es allgegenwärtig wäre? Wenn es nicht eine temporäre Unpässlichkeit wäre, die mich von etwas abhält, sondern wenn ich mich innerhalb jeder Gruppe immer wieder fragen müsste, „was werden sie als Nächstes machen, bei dem ich nicht mithalten kann?“ Auf die Dauer nagt das am Selbstbewusstsein. Das verständlich darzustellen, ist die große Leistung dieses Buches. Es geht nicht um den Burger, den man sich jetzt gerade nicht leisten kann, es geht darum, nicht einfach „OK, ich bin dabei“ sagen zu können.

Undine durfte die Dinge, die anderen selbstverständlich waren, oft nur von weitem bewundern und kam sich dabei mittendrin ausgeschlossen und schlecht vor. Später sind es die unausfüllbaren Formulare, die die Menschen glauben lassen, sie seien irgendwie minderwertig, Mitarbeiter, die einfach nicht zuzuhören scheinen oder der ständige Kampf und alltägliche Kleinigkeiten, die die Menschen zermürben. Undines Mutter ist nicht etwas dumm oder ungebildet oder unwillig, sie ist einfach nur irgendwann durch das Raster des Systems gefallen und auf der unteren Seite scheinen sich Widerhaken zu befinden, die sie am Rausklettern hindern.

Ich würde das Buch auf keinen Fall als einzige Lektüre zur Hartz VI-Problematik empfehlen, den es ist genau das, was auf dem Buchdeckel steht: der Bericht einer Betroffenen. Damit schildert es natürlich nur eine Seite und das ist für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem komplexen Thema zu wenig. Aber es ist ein guter Anfang und räumt mit Vorurteilen auf. Und das ist schon mal eine gute Voraussetzung für jede Beschäftigung mit einem Thema.

Undine Zimmer: Nicht von schlechten Eltern.
Fischer, August 2013.
256 Seiten, Gebundene Ausgabe, 18,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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