Siri Hustvedt: Die gleißende Welt

siriSiri Hustvedt verlangt viel ab von ihren Lesern in diesem Roman, der sich wieder einmal in der Kunstwelt abspielt. Gleichzeitig verarbeitet sie darin ihr umfassendes Wissen über Literatur, Kunst, Psychologie und Neurowissenschaften, prangert die Benachteiligung der Frau in der Kunstszene an, gewährt Einblicke in selbige und kompromittiert.

Hustvedt jongliert mit höchst komplexen Andeutungen und Metaphern, die man aber nicht alle verstehen muss und kann. Der Titel Die gleißende Welt ist dem gleichnamigen utopischen Roman von Margaret Cavendish, die im 17. Jahrhundert als eine der ersten Frauen unter eigenem Namen publizierte, entnommen.

Die Protagonistin des Romans ist die Künstlerin Harriet Burdon, die als reiche Witwe eines Kunsthändlers in Brooklyn lebt. In ihrer Erinnerung an den verstorbenen Vater und an den verstorbenen Ehemann verarbeitet sie Trauer, indem sie unermüdlich Kunstwerke gestaltet. Dabei wird ihr bewusst, dass sie als Künstlerin von der Öffentlichkeit weder jetzt noch zuvor wahrgenommen wurde. Die Kunst ihrer männlichen Kollegen dagegen wurde schon immer hoch honoriert und geachtet. Empört und gekränkt hierüber zieht Harriet Burdon sich aus der Öffentlichkeit der Kunstszene zurück. Kunstgeschichte hat schon immer das Ansehen von Künstlerinnen zunichte gemacht, indem sie deren Werk häufig dem Ehemann oder Vater zuschrieb, resümiert sie. Aus dieser Erkenntnis beginnt sie ein ausgeklügeltes, fünf Jahre dauerndes Exempel zu starten:

Nach wie vor arbeitet Burdon unermmüdlich in ihrem Atelier weiter. Ihre Werke tarnt sie als Kunst von drei Männern, die sich auf den Deal einlassen, die von Burdon erschaffenen Werke als ihre eigenen auszugeben. Diesem Gesamtprojekt verleiht sie den Titel Maskierungen. Damit will sie zum einen die frauenfeindliche Affinität in der Kunstwelt aufzeigen, zum anderen kann sie sich mit der komplexen Dynamik von Wahrnehmungen auseinandersetzen und sich damit befassen, warum Menschen sehen, was sie sehen. – Spiegelt sich die Wahrnehmung der Menschen untereinander? – In der Person Harriets, aus der mittlerweile namentlich Harry geworden ist, spielt Hustvedt ihre Kenntnisse der Neurophysik aus und zeigt unter anderem auf, was Verdrehungen und Wandlungen noch unterstreicht, wie sich das Reale und das Imaginäre unterscheiden oder wie unbewusste Vorstellungen das Verständnis eines Kunstwerks beeinflussen können.

Viele Fußnoten und Quellenverweise vervollständigen, erläutern, lassen staunen, erschweren den Lesefluss jedoch auch.

Insgesamt ein anspruchsvolles, sehr intelligentes Buch, für das man nicht nur wegen der fast 500 Seiten viel Zeit mitbringen muss, die sich letztlich aber lohnt.

Siri Hustvedt wurde 1955 in Minnesota geboren. Sie studierte Literatur an der Columbia Universität und promovierte mit einer Arbeit über Charles Dickens. Bislang hat sie sechs Romane publiziert und ist gleichzeitig eine profilierte Essayistin.

Siri Hustvedt: Die gleißende Welt.
rororo, Juni 2016.
496 Seiten, Taschenbuch, 10,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.

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