Lawrence Osborne: Welch schöne Tiere wir sind

Seit vielen Jahren verbringt die britische Familie Codrington den Sommer auf der griechischen Insel Hydra. Jimmie verdient sein Geld vor allem mit Kunst und ein paar anderen Geschäften, bei denen er sich ungern in die Karten schauen lässt. Gemeinsam mit seiner zweiten Frau Phaine pflegt er Kontakt zu den alten Bohemiens, die die Insel bevölkern und lässt keine der elitären Gesellschaften aus. Die wohlhabenden Ausländer bleiben bis auf wenige Ausnahmen unter sich.

„Das Alleinsein war etwas, das ihnen nichts bedeutete“, denkt sich Naomi, Jimmies Tochter aus erster Ehe, die überraschend in diesem heißen Sommer mit ins Ferienhaus einzieht. Mit ihrer Stiefmutter kann sie überhaupt nichts anfangen. Und auch die Beziehung zum Vater kriselt.

Naomi, die als Anwältin in London arbeitete, wurde ihr Job gekündigt. Was sich genau zugetragen hat, bleibt im Dunkeln. Sie lässt sich treiben, geht frühmorgens schwimmen, kifft ab und an und genießt die griechische Küche. Die Insel kennt sie wie ihre Westentasche. Schon als Kind hat sie alle verborgenen Winkel erkundet. Als sie die Amerikanerin Sam kennenlernt, die mit ihrer Familie Urlaub macht, nimmt sie diese in den Schlepptau und streift an der Küste und im Landesinneren umher.

Sam ist von Naomi beeindruckt, in ihr hat sie eine Frau gefunden, die anders ist. Von ihren Altersgenossinnen hält sie wenig. „Die Mädchen in ihrem Alter waren alle gleich, es war zum Verzweifeln, so als hätte sie eine Menschenfabrik in der Landesmitte nach einem bewährten Muster gefertigt.“

Bei einem Rundgang über die Insel entdecken Naomi und Sam einen ungepflegten jungen Mann. Faoud ist aus Syrien geflüchtet und gibt außer seinem Namen nichts von sich preis. Aus einer spontanen Regung heraus hilft Naomi ihm, findet eine Hütte, in der er übernachten kann und nimmt ihn schließlich in ein Hotel mit. Sie verspricht ihm Geld und eine Möglichkeit aufs Festland zu gelangen. Allerdings beinhaltet ihr Plan einen Einbruch in Jimmie Codringtons Ferienhaus.

Eine wichtige Rolle spielt dabei auch das Hausmädchen Carissa, die zwar tut, was man ihr sagt, aber doch ihre ganz eigenen Ziele verfolgt und nicht die beste Meinung von den reichen Urlaubern hat, die ihre Insel besetzen. „In ihren Augen waren sie alle barbarische Eindringlinge.“

Als der Einbruch aus dem Ruder läuft, muss Naomi schnell reagieren. „‚Welch schöne Tiere wir sind‘ ist eine brillante Studie über Schuld und Gier. Fesselnd, dicht und abgründig – ein literarisches Meisterwerk“, steht im Klappentext dieses Romans. Diese Einschätzung kann ich leider nicht in allen Punkten teilen.

Einerseits gelingt es dem Autor Lawrence Osborne ausgezeichnet, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich Naomi, ihr Vater und ihre Stiefmutter britisch-kühl und berechnend bekriegen, während die Hitze alles zu verlangsamen scheint. Er gibt den Figuren Charakter und Tiefe: die snobistische Stiefmutter, der überhebliche Vater, die irgendwie leer und verloren wirkende Naomi, die es den beiden heimzahlen will oder auch das Hausmädchen Carissa, die ihre Unterwürfigkeit ablegt und sich holt, was ihr zusteht.

Andererseits habe ich kaum Spannung verspürt, die Handlung hat mich nicht gefesselt. Im zweiten Teil hatte ich das Gefühl, dass sie ausfranst und an Plausibilität verliert. Beispiele kann ich hier jedoch nicht nennen, ohne zu viel vom Inhalt zu verraten.

Ein Satz aus diesem Roman spiegelt, wie ich ihn über weite Strecken empfunden habe:

„Bald jedoch beruhigte sich die Lage, und alles floss wieder ruhig dahin, denn es war unter Reichen Gesetz, dass die Muße im Sommer wie ein breiter und anmutiger Strom dahinfließen sollte.“

Lawrence Osborne: Welch schöne Tiere wir sind.
Piper, März 2019.
336 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.

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Ein Kommentar zu “Lawrence Osborne: Welch schöne Tiere wir sind

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