Karen Sander: Wenn ich tot bin

Drei Frauen lernen sich an einem schicksalhaften Tag in Edinburgh kennen. Es ist der Tag, an dem Madelin nach ihrer zehnjährigen Entführung den Weg nach Hause zurückfindet. Ihre Mutter Susan ist überglücklich und ruft die Polizei. Der damals ermittelnde Beamte Tom bringt seine Kollegin Kate mit. Beide sind genauso überrascht wie die Mutter und ihre neue Familie. Aus dem kleinen Mädchen ist inzwischen eine verwahrloste, abgemagerte junge Frau, eine Fremde, geworden. Wenige Stunden später ist wieder alles beim Alten. Denn Madelin verschwindet spurlos. Nur eines ist anders: Susanns Mann Stuart liegt nach einem Messerangriff schwer blutend auf dem Boden. Pannen in der Polizeiarbeit und viele falsche Fährten führen zu verkehrten Schlussfolgerungen.

Allein Kate gibt sich nicht mit bequemen Mutmaßungen zufrieden. Sie will unbedingt die Wahrheit herausfinden, bis auch sie  in Gefahr gerät.

Die Autorin und frühere Übersetzerin Karen Sander kann richtig gut schreiben. Sie weiß deshalb ganz genau, wie man eine Geschichte subtil erzählt und gleichzeitig die Urängste einer Frau an die Oberfläche zerrt. Ob es der Verlust eines Kindes ist oder das wahre Gesicht eines geliebten Menschen fürchten zu lernen, immer ist damit großes Leid verknüpft. Drei Frauen, eine trauernde Mutter, eine einsame Polizistin und ein leidendes Opfer erzählen aus ihrer Perspektive eine vertrackte Geschichte, in der ein gelöstes Rätsel ein neues offenbart. Nichts ist, wie es augenscheinlich sein könnte. Der doppelte Boden hat einen neuen doppelten Boden, bis die Polizistin Kate die  Zusammenhänge endlich begreift. Und mit Kate versteht auch der Leser, warum die verzweifelte Suche nach Madelin von einem Irrweg zum anderen geführt hat.

Bei Karen Sander kommt der männliche Täter nicht gut weg. Auf Außenstehende wirkt er sympathisch, attraktiv und ungewöhnlich fürsorglich. Doch wer sein nacktes Ich erlebt, sieht ein Monster mit pathologischen Zügen. Der fleischgewordene Alptraum dringt so schnell in das normale Leben zweier Frauen ein, dass eine Gegenwehr kaum noch möglich ist.

Das Spiel um Schein und Sein liest sich so packend, dass man der Verführung, weitere Bücher von Karen Sander zu lesen, kaum widerstehen kann.

Karen Sander: Wenn ich tot bin.
rororo, Juni 2019.
288 Seiten, Taschenbuch, 10,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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