Jasmin Schreiber: Marianengraben

Paula ist ein Mensch, der sich eigentlich mit sehr wenig zufrieden gibt. Wenn ihr kleiner Bruder Tim um sie herum ist, ist sie glücklich. Doch Tim gibt es nicht mehr. Tim ist im Urlaub im Meer ertrunken. Ausgerechnet im Meer, das er so sehr geliebt hat! Der 10-jährige kleine Junge war neugierig ohne Ende und fragte Paula, die angehende Biologin ist, regelmäßig über alles aus. Denn Tim wollte einfach alles wissen. Und nun vermisst Paula ihn unendlich. Ihr Leben hat keinen Sinn mehr, keine Richtung, nach der sie streben könnte. Ihr Therapeut rät ihr, endlich das Grab ihres Bruders zu besuchen. Doch Paula traut sich nicht und will sich schließlich nachts dorthin schleichen. Dabei überrascht sie allerdings den rüstigen Helmut beim Urnendiebstahl seiner Exfrau. Er will ihre Asche nicht unter der Erde sehen, sondern überall verstreuen. Paula begibt sich kurzerhand mit ihm auf eine Reise.

Jasmin Schreiber (Jahrgang 1988) ist selbst studierte Biologin und arbeitet ehrenamtlich als Sterbebegleiterin, das heißt sie hat sich mit beiden Kernthemen ihres Romans schon intensiv auseinandergesetzt. Und das spürt man am Text: Er ist komplett aus der Ich-Perspektive von Paula geschrieben, sie richtet sich aber direkt an ihren verstorbenen kleinen Bruder Tim.

Nummeriert sind die einzelnen Kapitel nach der Tiefe des Marianengrabens, begonnen an seiner tiefsten Stelle arbeitet man sich mit der Protagonistin immer weiter nach oben. Sie spürt den Druck allen Wassers aus dem Marianengraben auf ihrem Herz. Fühlbar ist in den Kapiteln auch immer wieder Paulas Verzweiflung. „Ich hatte keine Lösung. In mir breitete sich das Nichts aus, es hatte kein Gefühl, kein Aussehen, keinen Geruch, keinen Klang, keinen Geschmack. Ich war ein Menschenkostüm, das Nichts enthielt.“ (Kapitel 10430)

Paula stellt sich auch immer wieder zwei quälende Fragen. Was wäre passiert, wenn sie tatsächlich, wie von den Eltern gewollt, mit in den Urlaub gefahren wäre? Hätte sie bemerkt, dass Tim am Ertrinken ist? Und die zweite Frage lässt sie ebenfalls nicht in Ruhe: An was hat Tim in seinem letzten Moment gedacht? Doch hoffentlich nicht an sie!

So entsteht ein sehr berührender, kurzer Roman mit einem Roadtrip der schrägen Art und vielen interessanten Fragen, auf die nur einige Antworten gegeben werden. „Marianengraben“ kann vor allem auch ein Denkanstoß sein und bleibt nachhaltig in Erinnerung.

Genau so sollten Romane sein! Ein dickes Lob an die junge Autorin!

Jasmin Schreiber: Marianengraben.
Eichborn Verlag, Februar 2020.
256 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Janine Gimbel.

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