Jaroslav Kalfař: Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt

Jakub Procháska symbolisiert den Stolz einer ganzen Nation. Von einem Kartoffelacker erhebt sich das erste tschechische Raumschiff der Geschichte, um ein astronomisches Phänomen zu untersuchen. In den Weiten des Weltalls trifft Jakub auf den Ursprung des Lebens und einen extraterrestrischen Begleiter. Die irdischen Probleme des Astronauten verfolgen ihn jedoch in luftige Höhen. „Meine größte Hoffnung ist es, dass der Leser so etwas noch nie zuvor gelesen hat“, betont der Autor Jaroslav Kalfař. Mission geglückt: Seine fantasievolle Mischung aus „Per Anhalter durch die Galaxis“, gespickt mit kafkaesken Anleihen, tschechischer Geschichte und philosophischen Untertönen sucht seinesgleichen!

Jakub Procháska ist Professor für Astrophysik und Experte für interstellaren Staub. Als sich eine merkwürdige Wolke zwischen Erde und Venus schiebt, die den Nachthimmel in ein violettes Licht hüllt, wird Jakub auf eine Ein-Mann-Mission ins Weltall geschickt. Er soll die unbekannten Partikel der Wolke untersuchen. Bahnt sich eine neue Art Urknall an? Ist hier gar der Ursprung des Lebens zu finden? Besonders stolz ist der 10-Millionen-Einwohner-Staat Tschechien darauf, als erste Nation dieses Phänomen zu untersuchen. Jakub wird zum Nationalhelden, dessen Leben auf Schritt und Tritt von Reportern ausgeleuchtet wird. Trotz anstrengender physisch-psychischer Vorbereitungen nimmt er die Aufgabe dankbar an. In erster Linie um seinen Familiennamen endlich reinzuwaschen. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hatte Jakub unter der politischen Vergangenheit seines Vaters zu leiden, wurde ausgegrenzt, beschimpft, bedroht. Denn Jakubs Vater war ein Kollaborateur und arbeitete für die Sowjets, um Gefangene in Verhören zu foltern.

Doch der Astronautenalltag ist kein Zuckerschlecken. Weltraumwindeln, Knochenschwund und Einsamkeit setzen Jakub mächtig zu. Seine einzigen Lichtblicke sind die Videochats mit seiner Frau Lenka, die jedoch zunehmend an Distanz gewinnen – nicht nur an räumlicher. Da vermag auch das geliebte Nutella nur kurzfristigen Trost zu spenden. Die Nussnougatcreme ruft hingegen ein Weltraumwesen auf den Plan. Genauer: eine achtbeinige, behaarte Riesenspinne mit 34 Augen! Das intelligente Wesen möchte mehr über die Menschen erfahren, der Forscher wird seinerseits zum Gegenstand der Forschung. Nach anfänglichem Schock genießt Jakub die ungewöhnliche Gesellschaft, zumal seine Verbindung zum Heimatplaneten immer mehr abreißt. Lenka verlässt ihn, technische Probleme stellen einen erfolgreichen Ausgang der Mission in Frage.

Die Gespräche mit seinem neuen Freund führen Jakub vor Augen: Manchmal muss man erst die Welt verlassen, um seinen Platz darin zu finden …

Verschroben, wahnwitzig, intelligent, romantisch, tragisch, lehrreich: Es bedarf einer ganzen Flut von Adjektiven, um die ungewöhnliche literarische Mischung des Autors zu beschreiben. Jaroslav Kalvař, in Prag geboren und aufgewachsen, mit 15 Jahren in die USA migriert, um dort Literatur, Politik und Europäische Geschichte zu studieren, versetzt uns tatsächlich in Erstaunen. Als Leser wünschen wir uns mehr mutige und vor Fantasie überbordende Geschichten wie diese. Geschichten, welche die Grenzen des Verstandes ausloten und dabei ihre Bodenhaftung bewahren. Geschichten, welche die Perspektive von ganz oben auf das Große und Ganze ebenso beherrschen wie die Perspektive aus dem Innersten heraus. Ein seltenes Juwel der Gattung „anspruchsvolle Science Fiction“.

Jaroslav Kalfař: Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt.
Tropen, August 2017.
368 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

 

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