Wolfram Eilenberger: Feuer der Freiheit: Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten (1933-1943)

Philosophie hautnah erleben: Wolfram Eilenberger ist es gelungen, die Philosophie in einen persönlichen Kontext zu stellen. Dafür hat er vier wichtige Philosophinnen ausgewählt, die während der Schicksalsjahre des Nazi-Regimes zu wahrer Größe finden. Die der Gleichschaltung eine Gedankenfülle entgegensetzen, die uns bis heute prägt. Wir begleiten die Damen in Pariser Cafés, Internierungslager, Hospitäler, schäbige Souterrain-Wohnungen, sogar bis nach Hollywood. Dort werden wir Zeugen ihrer Höhen und Tiefen, ihrer Hoffnungen und Zweifel. Wir verstehen um die Hintergründe ihrer Gedanken. Wir sehen, wie die Geschichte sie ausbremst, verändert, antreibt. Das liest sich ungeheuer spannend! Philosophie plus Zeitgeschichte plus Biografie: Mit dieser Mischung hat Eilenberger einen Zugang zur Materie geschaffen, der nicht nur gedanklich, sondern auch emotional berührt.

In „Zeit der Zauberer“ hat Eilenberger seine Leser an der Seite von vier männlichen Philosophen durch die Epoche der Weimarer Republik begleitet. Nun führt er chronologisch durch den Werdegang der vier außergewöhnlichen Frauen. Sie haben dieselbe Berufung, könnten jedoch nicht unterschiedlicher sein. Ayn Rand befasst sich mit Kapitalismus, Simone de Beauvoir mit Existenzialismus, Hannah Arendt mit Zionismus und Simone Weil mit christlichem Mystizismus. Auch wenn ihre Lösungen voneinander abweichen, ähneln sich die Grundfragen, die sie innerlich umtreiben. So stehen die Themen „Das Individuum und das Kollektiv“ und „Was ist Freiheit?“ im Mittelpunkt zahlreicher Überlegungen. Mit dem Ausbruch des Krieges rücken Fragen wie „Ist Gewalt unter bestimmten Gesichtspunkten legitim?“ oder „Wie funktioniert Populismus?“ ins Bewusstsein.

Daneben hat jede Philosophin ihre eigenen Steckenpferde. Bei Beauvoir ist es unter anderem die Auseinandersetzung mit dem „reinen Bewusstsein“. Wie sollte man analysieren, ohne zu bewerten?

Arendt befasst sich mit den Anfängen des Antisemitismus, Rand mit Selbstentfaltung, Weil geht in so ziemlich allen Belangen in den offenen Widerstand – vom Fronteinsatz bis zum Hungerstreik.

Mühelos vermischen sich Eilenbergers Ausführungen mit Originalzitaten, Briefwechseln und Textpassagen seiner Heldinnen. Stück für Stück führt er Argumentationsketten aus, eine Art von Gedankenübertragung im literarischen Live-Stream. Uns Lesern gibt es das Gefühl, den Philosophinnen bei ihrer Arbeit über die Schulter zu schauen, ja geradezu in ihren Kopf zu kriechen. Wir nehmen Anteil an ihren Rückschlägen und müssen erkennen, dass es auf die großen Fragen des Lebens keine einfachen Antworten gibt. So plagt sich Ayn Rand mit „Nietzsches Fluch“. Anders ausgedrückt: „Wie sollte man die Mehrheit demokratisch davon überzeugen, dass die breite Masse der Bevölkerung wesensgemäß zur Idiotie neigt?“

Beauvoir, Rand, Arendt und Weil gelten als einflussreichste Philosophinnen des 20. Jahrhunderts. Doch warum waren ausgerechnet sie dafür prädestiniert?  Die Antwort liefert das Buch selbst. Nicht derjenige, der sich im Zentrum aufhält, bewahrt den Überblick, sondern derjenige, der am Rand der Gesellschaft steht und somit von außen auf das Große und Ganze schauen kann.

Die vier Charaktere stehen gleich in mehrfacher Hinsicht außerhalb der Gesellschaft. Zum einen sind sie Frauen, damit haben sie zum Beispiel im Frankreich der Dreißiger Jahren kein Wahlrecht und somit keine Möglichkeit zur direkten politischen Teilhabe. Zum anderen sind sie Philosophinnen, ein Beruf, der weder großes Geld einbringt, noch von den Nazis gern gesehen ist. Drei von ihnen sind jüdischer Abstammung, Beauvoir pflegt gemeinsam mit Jean- Paul Sartre bisexuelle, polyamore Beziehungen, womit sie gegen Rasse- und Moralvorstellungen verstoßen.

Mit ihrem Widerstand, ihrem Freiheitsstreben und dem Mut, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen, setzten sie einen Gegenpol in einer finsteren Zeit der hasserfüllten, ideologischen Gleichschaltung. Ihr Schaffen wirkt bis heute nach. Rands teils umstrittene Thesen in Büchern wie „Atlas Shrugged“ gehören zu den meist verkauften Büchern in den USA, direkt nach der Bibel. Arendt wirft mit der „Banalität des Bösen“ bei ihrer Aufarbeitung des Eichmann-Prozesses längst überfällige Fragen auf. Simone de Beauvoirs 1949 erschienener Roman „Das andere Geschlecht“ bildet die Grundlage für den modernen Feminismus.

Fazit: Philosophie, die nicht nur gedanklich, sondern emotional berührt. Eilenbergers Buch über vier gedankliche Vorreiterinnen, an deren Mut wir uns noch heute ein Beispiel nehmen können, gehört in jedes Buchregal. Das Feuer der Freiheit dürfte bei vielen LeserInnen die Lust aufs „Überdenken“ neu entfachen

Wolfram Eilenberger: Feuer der Freiheit: Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten (1933 – 1943).
Klett-Cotta, September 2020.
400 Seiten, Gebundene Ausgabe, 25,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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