Warsan Shire: Haus Feuer Körper

Warsan Shire: Bless your ugly daughter
Gesegnet sei deine hässliche Tochter
[…]
behind each ear, her body is a body littered/ with ugly things/ but God,/ doesn’t she wear/ the world well.
[…]
hinter jedem Ohr/ verbirgt sich ein Geflüchtetenlager, ihr Körper ist übersät/ mit hässlichen Dingen,/ doch bei Gott,/ steht ihr die Welt nicht gut?

HAUS FEUER KÖRPER, im Original „Bless the Daughter Raised by a Voice in Her Head“ ist der erste große Gedichtband der somalisch-britischen Autorin Warsan Shire. Die Lyrikerin schreibt in knapp fünfzig Gedichten über Krieg, Flucht, Frau und Tod. Manchmal über all das zugleich. Und wollte ich es kurzhalten, dann würde ich einfach das vorangegangene Zitat wählen und sagen: Genau so. Genau so.

Nur würde ich euch damit ziemlich frustriert wieder aus dieser Rezension entlassen. Was also fasziniert mich an speziell diesen Zeilen? Sie sind wie der Gedichtband selbst: Schmerzhaft und hässlich zum Teil Niemand setzt seine Kinder in ein Boot, es sei denn das Wasser ist sicherer als das Land, aber wunderschön zugleich Ich werde dieses ganze Leben neu schreiben und dieses Mal wird es so viel Liebe geben,/ du kannst gar nichts anderes mehr sehen. Doch was genau ist hässlich und wie gehen wir, die wir diesen Text lesen, weiß und deshalb privilegiert, damit um? Hässlich ist das, vor dem die Welt die Augen verschließt. Hässlich ist der Tod, der uns umgibt. Hässlich sind wir, denn es sind unsere Augen, die den Blick abwenden. Und hässlich sind die Dinge, die Shire mit ihren Worten zurück ans Licht zerrt. Sie erzählt von getöteten Kindern, von aus Häusern fallenden Mädchen, von als weiß geglaubten Leichen schwarzer Frauen. Sie erzählt diese fremden und jene eigenen Geschichten. Von ihrem einsamen Onkel, verloren in einem fremdvertrauten Land, von der Mutter, Hooya, die mehr ertrug als sie sollte, von ihren Brüdern und Schwestern und Cousinen, die in Shires Zeilen alle auf unterschiedliche Weise ihren ganz persönlichen Grenzen begegnen. Nur, dass diese Grenzen oft eben nicht persönlich sind. Denn es sind Grenzen, von der Gesellschaft gebildet, über Jahrhunderte weitergetragen und doch so starr geblieben Wir liegen nebeneinander im Bett, halten Spiegel/ an die Öffnung unserer Röcke,/vergleichen unsere Wunden. Frau sein und schwarz sein, Frau sein in einer frauenfeindlichen Kultur, all das hinterlässt Narben und Niemand verlässt sein Zuhause, es sei denn Zuhause ist das Maul eines Haifischs. Du rennst nur Richtung Grenze, wenn du die ganze Stadt rennen siehst. Welche Grenzen können wir sehen und welche kann uns Shire in ihren Gedichten zeigen? Welche Grenzen kennen wir vielleicht selbst nur allzu gut und welche können wir kennenlernen, um einen Weg zu finden, sie zu überwinden? Shire verbirgt uns auf jeden Fall nicht das Grauen, dass Bestehen und Überstehen dieser Grenzen mit sich bringen. Aber wollt ihr hören, was seltsam ist? Ich habe das Buch trotzdem verschlungen. Ich habe die Gedichte aufgesogen wie ein schwarzes Loch ein Sonnensystem. Und ja, das war so schmerzhaft wie es klingt. Aber gleichzeitig auch erleuchtend, fiebrig glühend, ich habe mich selbst wiedererkannt und wenn nicht mich, dann dich.

Ich bin mir sicher, dass HAUS FEUER KÖRPER niemals alt werden wird. Was hier angesprochen wird, hat Ewigkeitspotential. Aber gleichzeitig, und das müssen wir uns vor Augen halten, dürfen diese Themen keinen Bestand haben in unserer Welt.

Warsan Shire ist ehrlich und brutal und in einer Welt der Fake News und Regale voller Weichspüler ist es genau das, was wir brauchen. Also [wirf] dich vor dem Halal-Fleisch nieder und bete[…] in einer Sprache, die du seit Jahren nicht mehr benutzt.

Der ungeschönten Wahrheit.

Ich empfehle HAUS FEUER KÖRPER gleichermaßen an schonungslose wie schonungsvolle Menschen, denn erstere werden sich davon angezogen und zweitere abgestoßen fühlen – Beides Reaktionen, die angemessen sind, die zum Nachdenken anregen und Scheuklappen öffnen. Da draußen ist noch mehr und Shire trägt durch ihre zu Lyrik gewebten Kollektiverinnerungen dazu bei, zu sehen, zu fühlen, zu leiden, das Leben wertzuschätzen und zu hinterfragen. Es ist, als säßen all die Stimmen nicht im Buch, sondern genau vor dir, nähmen dir die Hände von den Augen und sagten: Sieh hin.

Warsan Shire: Haus Feuer Körper: Zweisprachige Ausgabe.
Aus dem Englischen übersetzt von Muna AnNisa Aikins, Mirjam Nuenning, Hans Jürgen Balmes.
S. Fischer, Juni 2022.
160 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Jana Luisa Aufderheide.

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