„Feuerland“ heißt das Viertel in Berlin, in dem die neuen Industrieschonsteine qualmen. Dort lebt Hannes Böhm – mehr schlecht als recht. Weil er sich auf gar keinen Fall in einer der neuen Fabriken verheizen lassen will, verdient er sich ein Zubrot als Fremdenführer für gelangweilte reiche Mädchen durch das Armenviertel. Dabei lernt er Alice kennen. Die ist mehr als nur ein gelangweiltes reiches Mädchen, auch wenn sie im Berliner Stadtschloss wohnt. Sie ist ehrlich schockiert über die Dinge, die sie zu sehen bekommt, über die Mütter, die ihre kranken Kinder nicht ernähren können und über im Elend sterbende Menschen. Überhaupt sagt ihr Hannes sehr viel mehr zu, als der arrogante Soldat, der sie gerade hat sitzen lassen. Die Zuneigung beruht auf Gegenseitigkeit. Aber in Berlin brodelt es bereits, erste liberale Gedanken kommen auf und die Menschen in den Arbeitervierteln wollen sich nicht länger verheizen lassen. Unter dem sturen preußischen König und seinen meist konservativen Gedanken kann sich eine Reform nicht Durchsetzen und die Unruhen werden blutig.
Auch wenn es keine starre Standestrennung mehr gibt, so merkt man doch noch, dass die Grenze zwischen den Klassen zwar durchlässig ist, aber nicht dünn. Titus Müller gelingt es, diese Aufbruch und doch verharrende Stimmung im Berlin von 1848 glaubhaft dem Leser nahe zu bringen. Darüber hinaus ist das Buch gut und flüssig geschrieben und lässt uns Eintauchen in die Geschichte. Nicht mehr so lebenshungrig gewalttätig wird die Menschen des Mittelalters und doch noch schnell mit der Waffe dabei sind die Menschen der Neuzeit. Sie sehen die Armut nicht mehr als Gottgegeben und doch fehlt es noch an Lösungen. So ist ein leicht lesbares Gemälde des Vormärz entstanden, dass einfach Spaß macht und doch lehrreich ist.
Ich für meinen Teil mochte vor allem die Krähe und bin dem Autor zu tiefst dankbar für das Ende.
Titus Müller: Berlin Feuerland.
Blessing, März 2015.
480 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.