Stefan Barz: Die Schreie am Rande der Stadt

Gibt es Lebensumstände, die einen Mord legitimieren? Mit dieser Frage wird der Lesende des neuen Titels von Stefan Barz konfrontiert. Aber nicht nur die Fragestellung finde ich mutig. Der Autor, der 1975 in Köln geboren wurde, greift ein dunkles Kapitel seiner Wohnstadt Wuppertal auf. Nach drei Eifel-Krimis hat der promovierte Religionslehrer seine kriminalistischen Aktivitäten ins Bergische Land verlegt.

Ein Tipp vorweg: Mit dem Nachwort beginnen! Mit „Die Schreie am Rande der Stadt” erzählt Stefan Barz die Geschichte des KZ Kemna. Das Lager war ein sehr frühes KZ und diente den Nationalsozialisten der „Einschüchterung“ von Juden, Sozialdemokraten, Gewerkschaftlern und Kommunisten. Natürlich stellt sich dem Lesenden schnell die Frage, ob solch ein historisch belasteter Ort die Hintergrundfolie für ein Unterhaltungsmedium sein kann. Schließlich lebt der Autor an diesem Ort und muss damit rechnen jede Menge Erinnerungen von Zeitzeugen und deren Angehörigen zu wecken. Ein mutiges Unterfangen des Autors, der einen Plot vorlegt,  welcher mit Sicherheit von den üblichen Krimi-Klischees abweicht.

Aber Stefan Barz weiß, was er tut. In seinem Nachwort begründet er seine Absichten plausibel. Zum einen will er die Geschichte „der Kemna“ erzählen. Um die zeitgebundenen Hintergründe zu veranschaulichen hat er sie in einen fiktionalen Erzählstrang integriert. Zum anderen ist es Stefan Barz ein Anliegen, die ethisch brisante Frage zu stellen, wie ein Mord zu bewerten ist, der in einem Unrechtsstaat geschieht, um das Leben anderer zu retten. Dabei beschreibt er eindrücklich mit welch  großer Gewalt und unmenschlicher Grausamkeit das NS-Regime gegen alle vorging, die sich dem bedingungslosen Führerprinzip widersetzten. Darum habe ich die Geschichte auch nicht als unterhaltend im landläufigen Sinne empfunden. An manchen Stellen musste ich sogar eine Lesepause einlegen, weil zu ahnen war, was den Protagonisten widerfahren wird.

Eindrücklich und einfühlsam nimmt Stefan Barz den Lesenden an die Hand und führt ihn in das Wuppertal des Jahres 1933. Seine plastischen Schilderungen und Beschreibungen sorgen für Bilder und konkrete Vorstellungen in den Köpfen bei seiner Leserschaft. Dabei sind die Kapitellängen so gesetzt, dass man dem Lauf der Geschichte problemlos folgen kann. Die fundierte Recherche, die dem Plot zugrunde liegt, ist während der Lektüre immer wieder spürbar. Unter die Haut geht die Darstellung des „NS-Systems“. Wie leicht doch Menschen beeinflussbar sind und wie schnell sie bereit sind, ihre Werte und Überzeugungen irgendwelchen populistischen Bestrebungen zu opfern!

So gesehen ist Stefan Barz ein wichtiger Titel geglückt. Ein Buch, das vielleicht nicht als Einschlaflektüre geeignet ist. Ein Buch jedoch, das nachdenklich macht und zur Diskussion auffordert in einer Zeit, in der gesellschaftliche Verwerfungen und Gegensätze immer deutlicher werden.

So kann ich diesen Titel  uneingeschränkt empfehlen. Vorausgesetzt der Lesende ist sich seiner Erwartungen im Klaren. Und ich danke Stefan Barz für seinen Mut eine solch aufrüttelnde Geschichte zu erzählen. Ferner danke ich dem KBV-Verlag für die Realisation dieses Projektes.

Stefan Barz: Die Schreie am Rande der Stadt.
KBV, Oktober 2021.
280 Seiten, Taschenbuch, 12,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Martin Simon.

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