Sibylle Baillon: Wie Spuren am See – Die Rückkehr

Erster Eindruck
Etwas neidisch las ich dieses Buch, nachdem ich schon beim ersten Kapitel erkannte, dass ich mir als Autor von Krimis und Fantasyromanen Baillons Vielfalt an bildhaften Vergleichen und die Dichte ihrer Gefühlsbeschreibungen in meinen Genres nicht erlauben darf. „Die Rückkehr“ ist das zweite Buch aus der Bodensee-Reihe, das ich – mit zeitlichem Abstand zum ersten – genossen habe. Wieder beeindruckten mich der einfühlsame Schreibstil, der mich ins Setting hineinzog, und die Dramatik, die hier schon anfangs zutage tritt und die sich später verdichtet. Es ist eine andere Spannung als in Kriminalromanen – in diesem Werk zwingen Mitgefühl und Neugier zum Weiterlesen, außerdem einfach die Freude am Ausdruck und an der Detailverliebtheit, mit denen uns die Autorin begegnet.

Inhalt
Wir kennen Isabella und Chris vom Bodenseeband „Die Erbin“. Isabella hat ihren nüchternen, kleinbürgerlichen Mann verlassen und lebt zusammen mit ihrem Geliebten, dem lebensfrohen und lebhaften Chris, in der von ihrer Großtante Ada geerbten Villa, als eines Morgens die betagte Gudrun um Hilfe bittet. Vor ihrem gewalttätigen, alkoholsüchtigen Mann geflohen sucht sie nun Beistand bei ihrer alten Freundin Ada, ohne von deren Tod erfahren zu haben. Ihr Auftauchen und Isabellas Wunsch zu helfen werfen nicht nur organisatorische Probleme auf, sondern übertragen Gudruns Ängste auf Isabella und stellen die Liebe zwischen ihr und Chris vor eine ernsthafte Zerreißprobe. Die Konflikte verschärfen sich, als weitere Personen ins Bild treten, die eine enge Beziehung zu Adas Vergangenheit haben …

Schreibstil
Sanft, mit viel Gefühl und mit treffenden Stimmungsbildern stellt uns Sibylle Baillon auch in diesem Werk nicht nur Figuren vor, die sich wegen der unterschiedlichen Handlungsebenen mannigfachen Herausforderungen stellen müssen, sondern beschreibt in Einzelheiten die Handlungsorte, Tätigkeiten und Hintergrundgeschichten auf eine Art und Weise, die auch nüchterne Leser in ihren Bann zieht. So mutiert etwa Gudruns profaner Kauf einer Bahnfahrkarte in einem der ersten Kapitel zu einem Abenteuer, das ihr gesamtes Elend, ihr Leiden unter ihrem Mann und die Schwere ihrer Entscheidung zur Flucht offenlegt. Häufige Dialoge spiegeln Gefühlswelten und Konflikte treffend wider und überraschen nicht nur den Leser, sondern manchmal die Figuren selbst – etwa durch fremde Ansichten in Unkenntnis der Hintergründe. In manchen Kapiteln überwiegt das Aufdecken von Gemütszuständen wie Verzweiflung, Zweifel, Hilfsbereitschaft, Hoffnung und Zuneigung und lässt den eigentlichen Handlungsstrang in den Hintergrund treten. Diese Abwechslung ist ein Anreiz mehr, sich von diesem Buch vereinnahmen zu lassen.

Fazit
Obwohl der Roman außerhalb der Kernkompetenz meines eigenen Schreibens liegt, zolle ich Sibylle Baillon für „Wie Spuren am See – die Rückkehr“ Respekt und ein großes Lob. Wieder ist es ihr gelungen, durch stimmungsvolle Bilder, durch unaufdringliche Charakterbeschreibungen und durch die gefühlsbetonte und doch spannende Haupthandlung ihre Leser gefangenzunehmen. Das Buch empfehle ich jedem, der fernab literarischer Hektik Ruhe sucht, indem er sich zurücklehnen und beim Wechselbad von Idylle und Dramatik entspannen möchte.

Sibylle Ballion: Wie Spuren am See 02: Die Rückkehr.
Gmeiner-Verlag, Februar 2024.
362 Seiten, Taschenbuch, 14,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Michael Kothe.

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