Richard Ford: Valentinstag

Der US-amerikanische Schriftsteller Richard Ford (Jahrgang 1944) hat mit Frank Bascombe eine Figur erfunden, die ihren ersten Auftritt 1986 in dem Roman „Der Sportreporter“ hatte. Bascombe verhalf ihm mit „Unabhängigkeitstag“ 1996 zum Pulitzer Prize und PEN/Faulkner Award. Es folgten 2006 „Die Lage des Landes“ und 2014 „Frank“. Daneben veröffentlichte Richard Ford zahlreiche weitere Romane und Kurzgeschichten, wie zuletzt „Irische Passagiere“ aus dem Jahr 2020. Nun ist am 21. August 2023 „Valentinstag“ bei Hanser Berlin aus dem Carl Hanser Verlag erschienen. Darin begleitet Frank Bascombe seinen todkranken Sohn Paul auf einer Reise zum Mount Rushmore. Frank Heibert hat den Roman aus dem Englischen übersetzt.

Frank Bascombe ist inzwischen über 70 Jahre alt und zweimal geschieden. Seine erste Frau Ann ist gestorben, sein Sohn Ralph ebenfalls (er hat noch einen) und seine Tochter Clarissa mag er nicht. Seine zweite Frau Sally ist als Trauerbegleiterin in der Welt unterwegs. Bascombe, eigentlich im Ruhestand, arbeitet in Teilzeit als „Hausflüsterer“ bei seinem ehemaligen Mitarbeiter Mike Mahoney in Haddam, New Jersey. Nun ist Paul, Sohn Nr. 2, unheilbar an ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) erkrankt. Er nimmt an einer Arzneimittelstudie der Mayo-Klinik in Rochester, Minnesota teil. Frank hat beschlossen, ihn zu begleiten und zu pflegen. In der Valentinswoche geht Pauls Aufenthalt in der Klinik zu Ende. Frank möchte eine letzte Reise mit ihm Richtung Westen zum Mount Rushmore mit seinen vier in Stein gemeißelten Präsidenten unternehmen. Paul ist von einem unnormalen kleinen Jungen zu einem skurrilen Erwachsenen geworden, der bedruckte T-Shirts, Jogginghose und einen Parka trägt. Nachdem er zunächst Texte für Grußkarten bei Hallmark verfasste und danach einen Gartenbedarf/Mietkauf-Laden leitete, arbeitete er zuletzt in der Abteilung „Human-Resources-Logistik“ des Theologieseminars an der Universität in Haddam. Paul und Frank verbindet nicht viel. Ihre Gespräche sind geprägt von Ironie, Komik und „um den heißen Brei“ reden. Aber Frank ist mit gutem Willen dabei. Er will sich um Paul kümmern und ihm seine verbleibende Lebenszeit so angenehm wie möglich gestalten. Paul nimmt es mit Scharfzüngigkeit, Grausamkeiten, abstrusem Humor und Wortspielen (er nennt seinen Vater Lawrence, kurz für Lawrence Nightingale!) hin. Sie mieten ein altes Wohnmobil und fahren los. Die Beiden besuchen Attraktionen in der amerikanischen Provinz, wie den „Einzigen Maispalast der Welt“ in South Dakota oder das Fawning Buffalo, ein Kasino, das Indigenen gehört. Am Valentinstag erreichen sie den Mount Rushmore.

Richard Ford beginnt seinen Roman „Valentinstag“ mit einer Reflexion Frank Bascombes über „Glück“. Darin läßt er Bascombe sagen:

„Und so würde ich über den Daumen gepeilt schon sagen, ich bin glücklich gewesen. Zumindest glücklich genug, dass ich Frank Bascombe bin und kein anderer. Bis vor kurzem hat das zum Weitermachen vollauf genügt.“ (S. 8)

Fords Hauptfigur ist ein weißer, demokratischer Amerikaner durch und durch. Seit seiner Erfindung 1986 lebt Frank Bascombe sein amerikanisches Leben: vom Sportreporter über den Immobilienmakler bis zum Ruheständler in Teilzeit. Ein ganz normales Leben. Doch was daran ist über Jahrzehnte so interessant und faszinierend für die Lesenden? Ford erzählt als Amerikaner von Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, mit seiner Gesellschaft, seiner Politik, seiner Geschichte. Und wie es sich als Durchschnittsamerikaner darin leben lässt. Mit der Entwicklung der Charaktere darf ich als Lesende auch die Entwicklung des Landes miterleben. So sind Richard Fords Frank-Bascombe-Romane Zeitgeschichte.

In „Valentinstag“ schickt Ford Frank und Paul auf eine Reise durch die amerikanische Provinz. Und er schickt sie auf eine Reise in ihre Vater-Sohn-Beziehung. Was kommt dabei heraus? So oberflächlich und absurd die Stationen ihrer Reise sind, so sind es auch die Dialoge zwischen Vater und Sohn. Und dennoch schimmern Zuneigung und Liebe hindurch (zur Freude des Heiligen Valentinus), machen den Roadtrip zu einem letzten gemeinsamen Erlebnis, das für den jüngeren mit dem Tod und für den älteren mit dem Weiterleben endet. Und von dem Frank Bascombe zum Schluss des Romans auf Pauls Frage, was „gut“ sei, sagen kann:

„Ich dachte eine Zeitlang über diese Frage nach, dann lieferte ich ihm die Definition, an die ich immer noch am ehesten glaube – frei nach Augustinus -, nämlich dass Gut vor allem die Abwesenheit von Schlecht ist und Glück die Abwesenheit von Unglück.“ (S. 362)

Traurig? Nein! Bewegend? Ja! Der Meistererzähler Richard Ford hat mit „Valentinstag“ einmal mehr ein unvergessliches Leseerlebnis geschaffen.

Richard Ford: Valentinstag.
Aus dem Englischen von Frank Heibert.
Hanser Berlin im Carl Hanser Verlag, August 2023.
384 Seiten, Gebunden, 28,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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