Diese erstmals illustriert erscheinende Romanausgabe soll an das 10. Todesjahr des 2009 verstorbenen jüdischen Autors Raymond Federman erinnern, der wie kaum ein anderer den amerikanischen Roman durch vielfache Experimente bereichert hat.
Das gesamte Buch ist eine fiktive Unterhaltung des Erzählers mit seinem Freund Samuel Becket in Pariser Cafés, wobei nur die Stimme des Erzählers zu hören, bzw. zu lesen ist. So monologisiert dieser sich mit seinen häufigen Eingangsworten: „Ah, du willst wissen“ oder „Okay, also ich mache weiter“ immer aufs Neue durch die Zeilen.
Nach zehn Jahren ist der Protagonist aus den USA wieder in seine Heimat nach Frankreich zurückgekommen. Er hat einen Roman geschrieben, der sein eigenes Leben in Amerika thematisiert.
In diesem Roman gibt es einen Erzähler mit seinem Helden und eine Person, die das alles festhält.
Seine Zeit und das Leben in Amerika vergleicht er mit einem Zeichentrickfilm für Erwachsene, die er mit der Mentalität Vierjähriger gleichsetzt.
Die jüdische Herkunft des Erzählers und die Geschichte seiner Familie, die den Holocaust nicht überlebt, sind sein eigentliches erzählerisches Anliegen. Was wir davon lesen, sind Erinnerungsfetzen, die nie ganz zu Ende erzählt werden, so wie viele Holocaustüberlebende vielleicht nie ihre ganze Geschichte preisgeben. So lässt der Erzähler auch mal ganz rigide einfließen, dass seine Familie „zu Lampenschirmen reduziert wurde“. Weitere Gedankenfragmente spiegeln immer wieder seine Zeit in Amerika, sein Arbeits- und Liebesleben und sein Wirken als Jazzmusiker dort.
Zu seiner Tante Rachel, die wie er dem Holocaust entkommen ist, entwickelt er eine besondere Beziehung, als sie nach vielen Jahren nach Frankreich zurückkehrt. Sie fühlt sich zum Erzähler ebenso hingezogen wie er sich zu ihr, der sich in ihren wärmenden Pelz und in ihre ausgestreckten Arme flüchtet.
Als er eine Verlagslektorin kennenlernt, erzählt er auch dieser Frau seine Geschichte, aber wieder in einer anderen Version.
Immer ist es die Suche nach einer neuen, vielleicht erklärenden Wahrheit, die der Überlebende in seinen Geschichten, präsentiert. Dabei gibt er zu, dass das, was er schreibt, ein Gemisch aus Erinnerungen und Lügen mit einem Körnchen Wahrheit ist: „Das Leben hat, wie ein alter Mantel immer ein Futter aus Fiktion, das ein wenig zerfetzt ist“.(S. 78)
Das, was wir zu lesen bekommen, wird häppchenweise mit vielen Schlenkern, die in andere Geschichten führen, serviert. Was wahr und was erfunden ist, bleibt verschwommen und verworren wie die 40 Illustrationen von Hartwig Ebersbach im Buch. „…ja ja ich weiß, ich habe gesagt, dass ich ein Literatur-Fußgänger bin aber eigentlich bin ich ein Balletttänzer der Fiktion…“ (S. 115)
Ganz am Ende ist Federman der Zuhörer seiner selbst. Ein Überlebender im doppelten Sinn, der mit der Realität des Holocaust im besetzten Frankreich abrechnet.
Immer wieder driften Federmans Monologe ins Erotische mit teilweise obszönen Ausdrucksformen ab. – Leser*innen, die experimentelle Literatur mögen, werden nicht enttäuscht.
Die Übersetzung aus dem Französischen stammt von Thomas Hartl.
Raymond Federman: Der Pelz meiner Tante Rachel.
Faber & Faber, September 2019.
248 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.