Philippe Djian: Ein heißes Jahr

Die Welt im Jahr 2030. Dürresommer voller Waldbrände wechseln sich mit Wintern voller Überschwemmungen ab. Das Wetter schlägt allen Menschen aufs Gemüt, zermürbt sie, radikalisiert sie, lässt sie kopflose Entscheidungen treffen. Wer es sich leisten kann, macht auf Island Urlaub, der Rest des Planeten verspicht keinerlei Erholungswert mehr. Mittendrin in Djians Roman straucheln Protagonisten voller kognitiver Dissonanzen. Denn zwischen dem Wissen, um das, was richtig ist, und dem entsprechenden Handeln danach, liegen Welten. Obwohl die Welt an die Wand fährt, sind sie nicht fähig, von destruktiven Verhaltensweisen abzulassen.

Porsche fahren & Umwelt schützen?
Da ist Greg, der in der Firma seines Schwagers arbeitet, die schädliche Pestizide herstellen (Glyphosat lässt grüßen), welche aber dank gefälschter Gutachten weiterhin auf die Äcker gebracht werden. Sein latent schlechtes Gewissen wird durch das luxuriöse Appartement und den Porsche kompensiert. Je moralisch fragwürdiger der Job, desto besser die Bezahlung. Denn trotz umweltfreundlicher Alternativen möchte Greg auf den Thrill der Beschleunigung nicht verzichten. Als sich seine Nichte Lucie der Klimabewegung anschließt, die vor über 10 Jahren „von dem Mädchen mit den Zöpfen“ gegründet wurde, gerät Gregs moralisches Gewissen vollends ins Straucheln. Überhaupt ist Greg von ständigen Gewissenbissen geplagt. Er fühlt sich für mehrere Unfälle und Schicksalsschläge aus seinem Umfeld verantwortlich. Auch der Rest der Familie, wie Lucies aggressive Schwester Aude, die an den Rollstuhl gefesselt ist, hadern mit ihrem Leben. Erst als er durch die Klimabewegung die Aktivistin Vera kennenlernt, scheint Greg aus seiner Lethargie zu erwachen. Doch dann brechen beidseitig alte Wunden auf, eine komplizierte Beziehung nimmt ihren Lauf.

Dystopischer Roman über den Klimawandel
Djian beschreibt einen dystopischen Hexenkessel, in dem wir uns bereits jetzt befinden. Sehenden Auges rennt die Welt der Katastrophe entgegen, im Großen wie in den kleinen Tragödien des Alltags. Beklemmend beschreibt Djian eine Atmosphäre der Hitze, die Stromausfälle, die Lieferengpässe (vom Katzenstreu bis zu den Medikamenten), richtet seinen Fokus darauf, was dies mit Menschen macht. So dekonstruiert Djian gekonnt seine Hauptfigur im Laufe des Plots. Sympathieträger sucht man in dieser realen Dystopie vergebens. Der einzige Schwachpunkt – hierbei wurde der Autor von der Realität eingeholt – besteht darin, dass das „Mädchen mit den Zöpfen“, deren Namen zwar mit keinem Wort erwähnt wird und die im Buch leibhaftig in Erscheinung tritt, sich mittlerweile selbst weitestgehend dekonstruiert hat. Dies konnte Djian, der mit seinem Roman „Betty Blue“ weltbekannt wurde, bei der Erstellung seines Buches im Jahr 2022 freilich noch nicht ahnen.

Fazit: Ein beklemmender, anderer Blickwinkel auf den Klimawandel. Er rückt nicht die Umweltkatastrophen als solche in den Mittelpunkt, sondern den Zusammenbruch gesellschaftlicher Strukturen, gemeinschaftlicher Werte und die Auswirkungen auf die mentale Gesundheit der Menschen. So wie sie nicht fähig sind, die Zerstörung der Welt aufzuhalten, so scheitern sie daran, gesunde Beziehungen aufzubauen. Dass der Roman gerade einmal sechs Jahren in der Zukunft spielt, macht die Sache nur umso erschreckender.

Philippe Djian: Ein heißes Jahr.
Aus dem Französischen von Norma Cassau.
Diogenes, November 2023.
240 Seiten, gebundene Ausgabe, 20,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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