Peter Longerich: Die Sportpalastrede 1943: Goebbels und der „totale Krieg“

„Wollt ihr den totalen Krieg?“, fragt der Minister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 in seiner wohl bekanntesten Rede. Und das Publikum in dem übervollen, riesenhaften Berliner Sportpalast, es jubelt, schreit, kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Und antwortet: „JAAA!“

So kennt man die Sequenz dieser Rede, von der es Filmmitschnitte gibt, die zusätzlich als Rundfunkrede ausgestrahlt wurde, die als Tondokument noch erhalten ist. Und bis heute scheint sie Zeugnis abzulegen von einer ungebrochenen und fanatischen Kriegsbegeisterung der Deutschen, die sich mit ganzer Seele dem Nazi-Regime verschrieben und es bis zuletzt mit ganzer Kraft unterstützt haben.

Das war die Botschaft, die transportiert werden sollte – ins Inland, vor allem aber auch ins Ausland. Goebbels nannte sie sein Meisterstück und berauschte sich vor allem an der Wirkung seiner Rede, die er für rhetorisch „brillant“ hielt. Das war sie mit Sicherheit nicht, aber bis heute scheint sich ja die Botschaft der regimetreuen und kriegsbegeisterten Deutschen in den Köpfen der Menschen festgepflanzt zu haben – was man also als propagandistischen Erfolg verbuchen kann.

Schwierige Situation

Die Situation war schwierig, als Goebbels seine Rede verfasste: Die Niederlage von Stalingrad und damit der Untergang der 6. Armee zeichnete sich ab, seit einem guten halben Jahr bombardierten die Alliierten deutsche Großstädte. Vom Führer und Reichskanzler, der die Massen in seinen Reden und Ansprachen jahrelang begeistert hatte, hörte und sah man eigentlich kaum noch etwas. Und dann war da noch die britische Propaganda, die behauptete, die Deutschen seien kriegsmüde, das Ende des Krieges und damit eine Niederlage des Deutschen Reiches seien absehbar.

Und so wurde nichts dem Zufall überlassen. Die Sportpalastrede – und das zeigt Peter Longerich in seiner kleinen, aber feinen Analyse – war bis ins kleinste Detail als Propagandaveranstaltung großen Stils durchgeplant worden. Der Berliner Sportpalast war schon lange ein Ort der NS-Propaganda – nun wurde er ausgeschmückt mit Bannern und Fahnen, die Jubel-Besucher waren handverlesen und zuverlässige Unterstützer, die sehr genau ins Bild gesetzt wurden, was sie zu tun hatten: vor allem Begeisterung und Treue zeigen, Empörung über die ganzen so falschen schrecklichen Behauptungen der britischen Propaganda und vor allem tiefe Zuneigung und festes Vertrauen zum Führer Adolf Hitler.

Ein ausgewiesener Fachmann

Der Historiker Peter Longerich, ein ausgemachter Fachmann zur Geschichte des Nationalsozialismus, hatte in den letzten Jahren bemerkenswerte Biografien über Heinrich Himmler (2008), Joseph Goebbels (2010) und Adolf Hitler (2015) vorgelegt und arbeitet zurzeit an einem Buch über die Einstellung der deutschen Bevölkerung während der Nazi-Herrschaft. Hier knüpft er daran an, was der große britische Historiker Ian Kershaw schon leistete, als er zum Beispiel seine Untersuchung über den „Hitler-Mythos“ vorgelegt hatte. Als kleines „Nebenprodukt“ auf diesem Wege entstand wohl dieses Büchlein; hier zeigt Longerich die Vorgeschichte jener berühmten Rede und bettet sie ein in ihren direkten historischen Kontext. Er befreit sie vom Mythos einer großartigen Rede, die allein aufgrund ihrer rhetorischen Kraft und Wirkung die Massen begeistert, und entlarvt sie als das, was sie war: ein großinszeniertes Theater.

In einem Kapitel, das die Zeit nach der Rede skizziert, macht Longerich sehr deutlich, dass die so groß angedachte Wirkung des Sportpalast-Events angesichts der schlechten Kriegsnachrichten und der permanenten Bombenangriffe auf deutsche Städte rasch verflogen war.

Im Nachhinein mehr Wirkung

Im Nachhinein, so kann man sagen, hat die Rede mehr Wirkung entfaltet als in ihrer direkten Gegenwart – denn sie macht uns heute doch sehr deutlich, dass wir in allen möglichen Film-Dokumentationen über diesen Teil der deutschen Geschichte überwiegend mit Nazi-Propagandamaterial konfrontiert werden, dessen unterschwellige Botschaften doch auch immer wieder geglaubt werden.

Longerich schreibt wissenschaftlich und doch immer sehr gut verständlich. In seinem Buch ist zudem der gesamte Redetext als Wort-Protokoll abgedruckt (inklusive der Reaktionen des Publikums) – somit ist dieses Buch außerordentlich gut les- und verstehbar und sollte nicht nur im Studium, sondern auch in der weiterführenden Schule eine Rolle spielen.

Peter Longerich: Die Sportpalastrede 1943: Goebbels und der „totale Krieg“.
Siedler, Februar 2023.
206 Seiten, gebundene Ausgabe, 24, 00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Corinna Griesbach.

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