Orna Donath: #regretting motherhood

Die meisten von uns kennen keine Mutter, die offen ausspricht, dass sie die Mutterschaft bereut. Manchmal sagen Mütter zwar, dass sie die Freiheiten vermissen, doch darauf folgt dann sofort ein: „Aber ich würde mich trotzdem wieder so entscheiden“. Es gibt sie aber: Frauen, die sich nicht mit der Mutterrolle identifizieren können. Frauen, die diese Entscheidung bereuen. Frauen, die unter der Mutterschaft leiden. Dieses Gefühl ist gesellschaftlich jedoch so stark tabuisiert und stigmatisiert, dass es selbst in feministischer Literatur nur selten thematisiert wird.

Um diesem Tabu entgegenzuwirken, hat die Soziologin Orna Donath Forschungsarbeiten durchgeführt, in denen sie anonymisierte Interviews mit Müttern geführt hat, die lieber keine Mütter wären. Über die individuellen Erfahrungen dieser berichtet sie in dem Sachbuch „#regretting motherhood. Wie Frauen mit einem unerlaubten Gefühl leben“. Heranwachsende Personen, die noch nicht wissen, ob sie ein Kind haben wollen, sollten dieses Buch unbedingt lesen, um eine andere Sichtweise auf diese Thematik kennenzulernen. Für Mütter, die insgeheim nicht glücklich mit dieser Rolle sind, kann dieses Buch darüberhinaus einen wertfreien Raum schaffen, in dem sie endlich unter Gleichgesinnten sind.

Inhalt

Zu Beginn wird die Studie vorgestellt, was sehr spannend ist, weil dort Informationen über die Teilnehmerinnen und die Interviewfragen genannt werden. Man erfährt zum Beispiel etwas über das Alter, den Bildungsgrad, die Gesellschaftsschicht und den Familienstand der Mütter. Zudem erfährt man, wieviele Kinder die Frauen haben und in welchem Alter diese Kinder sind.

Im Weiteren spricht Donath über generelle gesellschaftliche Erwartungen an Frauen und Mütter, denn „schließlich könne es sich bei Müttern, die ihre Mutterschaft bereuten, doch nur um selbstsüchtige, verrückte, psychisch labile und unmoralische Personen handeln […]“ (Seite 12). Es geht dann um den Begriff der Reue und um die gesamtgesellschaftliche Auffassung, dass eine Frau erst durch ein Kind vollkommen wird. Anschließend wird darauf eingegangen, wie die Gesellschaft auf Reue im Zusammenhang mit Mutterschaft reagiert und schließlich darauf, wie sie Mutterschaft von nun an betrachten sollte.

Schreibstil

Das Buch schwankt zwischen leicht lesbaren, flüssigen Passagen und komplizierten Formulierungen. Manchmal drückt sich Donath fast schon zu wissenschaftlich aus, wodurch der Lesefluss gestört werden kann, weil man nicht immer sofort folgen kann. Hinzu kommt, dass sich Donaths Schlussfolgerungen aus den Interviews teils wiederholen oder zumindest ähneln. Die unterschiedlich langen Ausschnitte der Interviews werden allerdings überall in den Text integriert, was dem Lesefluss wiederum zugutekommt.

Erfahrungsberichte

Es ist extrem interessant, Aussagen zu lesen, die man im Leben noch nicht gehört hat. Wie Donath sagt, war es schwer, überhaupt Mütter für die Studie zu gewinnen, was es umso spannender macht, diesen Frauen, die endlich ihr Schweigen brechen, zuzuhören. Die Geschichten der Frauen sind so brutal ehrlich, dass man sich fühlt, als wäre man Teil eines Safe Spaces, in dem Freund*innen ihre geheimsten Gefühle miteinander teilen. Donath hat zudem emotionale Reaktionen der Frauen mit abgebildet, wie etwa Redepausen, Lautstärke und Lachen, wodurch es wirkt, als wäre man beim Interview dabei gewesen.

Fazit

Auch, wenn das Buch an einigen Stellen schwer zu lesen sein kann, ist klar: Jeder Mensch sollte dieses Buch lesen. Die Erfahrungsberichte sind so wichtig, augenöffnend und empowernd, vor allem für junge, kinderlose Personen und Mütter. Donath findet solche hoffnungsvollen, inspirierenden Worte und behandelt dieses wichtige Thema sehr respektvoll. Ich glaube, dass dieses Buch das Potential hat, eine ganz neue, verhüllte Perspektive zu zeigen und vor allem jungen Frauen und Menschen mit Uterus, die immer noch eingetrichtert bekommen, dass ein Kind ihr Leben auf eine neue Ebene bringen wird, eine andere Perspektive zu bieten. Und es ist wichtig für die freie Entscheidung, weil Frauen gesellschaftlich bedingt oft nur mit dem Strom schwimmen, ohne wirklich zu überlegen, ob sie wirklich eine Mutter sein wollen. Kurzum: eine große Empfehlung!

Orna Donath: #regretting motherhood. Wie Frauen mit einem unerlaubten Gefühl leben
Aus dem Englischen von Karlheinz Dürr und Elsbeth Ranke
Penguin, März 2023
272 Seiten, Taschenbuch, 14,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Melina Lange.

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