Alen besucht seine Heimat Armenien, in der er von seinem dritten bis zu seinem sechsten Lebensjahr mit seinen Eltern gelebt und an die er keine Erinnerungen mehr hat. Er ist zusammen mit seinem Onkel Vram hier, um im Angesicht des gewaltigen Berges Ararat die Asche seines Vaters, die er samt Urne vom Friedhof in Bielefeld geklaut hat, auf die Heimaterde zu streuen. Von hier blickt Alen zurück auf seine letzte Nacht als Türsteher im „Glashaus“ in Bielefeld-Baumheide, in der die Weichen seines Lebens völlig neu gestellt worden sind.
Die Schule schmeißt Alen nach dem Tod seines Vaters, weil er endlich Geld verdienen, endlich raus aus der Armut will, die ihn seit seiner Kindheit begleitet. In Bielefeld-Baumheide, dem Stadtteil mit drei Moscheen, aber keinem Pizzataxi, hat niemand eine Chance auf ein besseres Leben. Alen ist Türsteher in einem angesagten Club, dem „Glashaus“, von Donnerstagnacht bis Montagmorgen, von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr.
Halt gibt ihm die Freundschaft mit Flo, die in einem großbürgerlichen Viertel der Bielefelder Innenstadt lebt und keine Geldsorgen kennt. Flo träumt davon, Schauspielerin zu werden. Alen denkt nur an das Geld, das er als Türsteher verdient. Kennenlernen konnten sich die beiden nur, weil sie jahrelang an derselben Haltestelle auf ihren Bus gewartet haben, Alen auf den zur Gesamtschule, Flo auf den zum Gymnasium. Ihre Liebe ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt, da Alen nur in seiner Vergangenheit lebt und keine Zukunft hat, Flo ihre Vergangenheit wie eine alte Haut abstreifen und ihre Zukunft leben will.
Und da ist noch Karim, Alens jüngerer Cousin, der aus Liebe schwach wird und sich auf gefährliche Drogengeschäfte einlässt. In der letzten Nacht von Alens altem Leben als Türsteher provoziert Karim eine blutige Auseinandersetzung mit dem mächtigsten Dealer des Stadtteils.
Nuran David Calis breitet in seinem Debut die Geschichte seines Protagonisten nicht chronologisch vor dem Leser aus, sondern springt in der Zeitabfolge hin und her, scheinbar wahllos. Die Erinnerungen Alens sind wie Spots, ausgeleuchtete Szenen seines Lebens, die der Autor temporeich und in harter, direkter Sprache erzählt. Einer Sprache, die den Leser von den ersten Sätzen an packt und nicht mehr loslässt.
Ein Buch wie ein Rap, mit einem ganz eigenen, wuchtigen, hämmernden Sound. Unbedingt lesen!
Nuran David Calis: Der Mond ist unsere Sonne.
Fischer, August 2011.
205 Seiten, Gebundene Ausgabe, 17,95 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Martina Sprenger.