Der senegalesische Schriftsteller Mohamed Mbougar Sarr (Jahrgang 1990) wurde in Dakar, der Hauptstadt Senegals, geboren. Er studierte in Frankreich. 2014 veröffentlichte er seinen ersten Roman. Für seinen vierten Roman „La plus secrète mémoire des hommes“ erhielt er 2021 als erster afrikanischer Autor den Prix Goncourt. Die deutsche Erstausgabe unter dem Titel „Die geheimste Erinnerung der Menschen“ erschien am 24. November 2022 im Carl Hanser Verlag. Holger Fock und Sabine Müller haben den Roman aus dem Französischen übersetzt.
Darin erzählt Mohamed Mbougar Sarr von dem jungen Senegalesen Diégane Latyr Faye, der in Paris an seiner literaturwissenschaftlichen Doktorarbeit schreibt, aber eigentlich ein erfolgreicher Schriftsteller sein will. Für ihn ist T.C. Elimane, der „schwarze Rimbaud“, Kult.
Zufällig trifft er die senegalesische Schriftstellerin Marème Siga D. und erhält von ihr Elimanes berühmtes Buch aus dem Jahr 1938über einen brutalen König mit dem Titel „Das Labyrinth des Unmenschlichen“. Nach Erscheinen des Buches wurde T.C. Elimane gefeiert und verteufelt. Schließlich verschwand er spurlos.
Diégane verschlingt das Buch, das er für große Literatur hält, und beschliesst, nach dem Verfasser zu suchen. Sein Weg führt ihn in Pressearchive, nach Amsterdam zu Siga D. und in die französische Provinz zu Elimanes damaligen Verlegern. Er lässt sich von Elimanes Spuren in Argentinien erzählen und fliegt schließlich zurück in den Senegal zu seinen eigenen Eltern. Diégane will in das Dorf fahren, in dem Elimane Madag Diouf alias T.C. Elimane aufgewachsen ist. Wird er ihn dort endlich finden?
Was kann ich als Lesende zu diesem Buch sagen? Es loben oder kritisieren? Möglicherweise hat es sich mir nicht so recht erschlossen.
Ein Füllhorn sprachlicher und stilistischer Formen
Mohamed Mbougar Sarr bietet in seinem Buch ein Füllhorn sprachlicher und stilistischer Formen an. Das zeigt sein schriftstellerisches Repertoire, aber macht es auch aus der so erzählten Geschichte einen guten Roman? Mir jedenfalls erschwerte es das Lesen, war ich teilweise nicht mehr sicher, mit welcher Figur des Romans ich es zu tun hatte, aus welcher Perspektive erzählt wird. Und über was: das Schreiben, die Literatur, die Religion, Afrika, Kolonisation, 1. und 2. Weltkrieg, Rassismus, Herkunft und Heimat?
Diéganes Suche nach Elimane, ausgelöst durch die Lektüre und Begeisterung über das Buch „Das Labyrinth des Unmenschlichen“, über dessen Inhalt die Lesenden wenig bis nichts erfahren, verwirrt mich mehr, als dass sie mich fesselt. So schreibt Sarr, mein Interesse nacheinander dämpfend und weckend, auf den ersten Seiten des Romans:
„Man konnte zwar bezweifeln, dass es einen Mann namens T.C. Elimane jemals wirklich gab, oder sich fragen, ob es sich dabei nicht um ein Pseudonym handelte, das sich ein Autor ausgedacht hatte, um den Literaturbetrieb zum Narren zu halten oder ihm zu entkommen, aber die mächtige Wahrheit seines Buches konnte niemand in Frage stellen: Schlug man es zu, strömte einem das Leben wieder gewaltig und rein in die Seele.“ (S. 16)
Sarrs Figuren (vor allem Siga D.) ziehen mich schon mehr in ihren Bann, aber bis kurz vor dem Ende des Buches bleiben auch sie mir eher fremd.
Dann erhält Diégane eine e-mail von seinem Freund Musimbwa und was in dieser einen elektronischen Nachricht steht, liefert mir endlich einenachvollziehbare Botschaft der Geschichte um T.C. Elimane: niemand (auch keine Schriftstellerin oder kein Schriftsteller) entkommt seiner Vergangenheit bzw. seinen Erinnerungen daran. Und versöhnt mich mit „Die geheimste Erinnerung der Menschen“ von Mohamed Mbougar Sarr.
Mohamed Mbougar Sarr: Die geheimste Erinnerung der Menschen.
Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller.
Hanser, November 2022.
448 Seiten, Gebunden, 27,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.