Armod und Unni nannten diese halbverfallene Kate mitten im schwedischen Wald von Hälsingland Frieden. Hier sollte 1897 ihre Flucht aus Norwegen enden und die Kate ihre neue Heimat werden. Mit dem Eigentümer wurden sie ebenfalls handelseinig. Weil sie kein Geld hatten, verpflichtete sich Armod, zehn Jahre lang für den Waldbauern zu arbeiten. Danach würde ihnen ein Stück des Waldes und die Kate gehören. Armod, Unni und der kleine Roar hätten dann eine Zukunft. Sie begannen zu schuften.
Das erste Jahr wurde extrem hart. Sie hatten bis zum Winter sehr wenig Zeit, Beete anzulegen, Kartoffeln zu setzen und Gemüse zu sähen. Sie pflanzten auf einer kleinen Wiese junge Apfelbäume. Armod fand im Wald einen Hagebuttenstrauch, den er neben die Haustür pflanzte. Als der Winter kam, hatten sie ein dichtes Dach, und die Fugen zwischen den Brettern waren mit Moos abgedichtet. Sie schliefen auf dem Boden. Als ihre Vorräte aufgebraucht waren, lag noch immer der Schnee. Und dann kam die Zeit, in der sie beim Kaufmann nichts mehr auf Kredit kaufen konnten. Der Hunger wurde zu ihrem neuen Familienmitglied. Er blieb hartnäckig und kam jedes Jahr im Winter wieder.
„Man kann immer entscheiden, wer man sein will. Genau das hatte ich damals zu Armod gesagt. Und ich traf eine Entscheidung. Ich entschied mich dafür durchzuhalten. Wenn das der einzige Weg war, um euer Überleben zu sichern, musste es so sein.“ (S. 246)
Die Schriftstellerin, außerordentliche Professorin und Politikerin Lina Nordquist hat einen eindringlichen Roman über zwei Frauen geschrieben, die in schwierigen Zeiten lebten. In ihrem Heimatland Schweden gilt ihr Debüt als Roman des Jahres. Und dies liegt nicht nur am schönen, ausgewogenen Schreibstil, sondern auch an ihrer bilderreichen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Damals gab es nicht nur in Schweden keine Rechtssicherheit, wenig medizinische Versorgung und keine Gleichberechtigung. Dafür gab es harte Arbeit, eine Abhängigkeit von Arbeitgebern, die so wenig zahlten, dass die Abhängigkeit eine langfristige Angelegenheit wurde. Den scheinbaren Frieden bezahlten Unni und Armod mit einer sklavenähnlichen Verpflichtung gegenüber dem Waldbauern. Sie wollten nie mehr alles verlieren und mit ihren inzwischen drei Kindern obdachlos werden.
Die Autorin hat den generationsübergreifenden Familienroman in zwei Erzählsträngen aufgebaut. Unni und Kåra, die Ehefrau ihres Enkels, erzählen, mit welchen Schwierigkeiten sie zu kämpfen haben. Beide sind anders als die Durchschnittsfrauen, beiden droht eine Zukunft in Heilanstalten für Geisteskranke. Beiden gelingt die Flucht aus dieser Gefahr, und beide überstehen ihren Überlebenskampf, den jede für sich auf ihre ganz eigene Art und Weise meistert.
Häufig hört man den Spruch, früher sei alles besser gewesen. Nach der atemberaubenden Lektüre über dieses Früher wird sehr schnell deutlich, dass sich der Faktor Mensch im Laufe der Generationen sicherlich nicht geändert hat. Er ist weder besser noch schlechter geworden. Er ist, was er ist. Manchmal gut, manchmal berechnend und brutal, mal gebildet und mal naiv. Er ist, was er ist. Und manchmal ist es gut, daran erinnert zu werden.
Lina Nordquist: Das Herz ist eine Krähe
Aus dem Schwedischen übersetzt von Stefan Pluschkat
Diogenes, September 2023
464 Seiten, Hardcover Leinen, 25,00 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.