Lilly Bernstein: Sturmmädchen

Die Freundinnen Elli, Margot und Käthe schwören sich am Perlbach, eine für alle, alle für eine. Doch im Laufe der nächsten Jahre verändert sich ihr Leben. Aus den Schulmädchen sind junge Frauen geworden, die ihren Platz noch finden müssen. Während Elli mit ihrer Mutter in einer kleinen Kate auf dem Hof des reichsten Bauern der Umgebung lebt, muss Käthe in der Fabrik arbeiten und ihren Eltern dabei helfen, ihre notleidende Familie durchzubringen. Nur bei Margot scheint es gut zu laufen. Sie heiratet und will mit ihrem Mann den florierenden Familienbetrieb in Aachen weiterführen.

Die eigentliche Geschichte der drei jungen Frauen beginnt im Oktober 1938 und endet im Mai 1940. Es ist eine Zeit, in der die Nationalsozialisten mit brachialen Methoden das gesellschaftliche Miteinander auch in der verarmten Eifel nach ihren Regeln festlegen. Elli ist schockiert, als eine geistig behinderte Frau aus ihrem Dorf abgeholt wird und nach dem „Hitlerschnitt“, der zwangsweisen Sterilisation, stirbt. Diese Umstände passen nicht zu ihrem Menschenbild. Auch Margot und ihre Eltern erleben Sanktionen, weil sie Juden sind. Als Elli endlich das Ausmaß der Gefahren erkennt, dem ihre inzwischen schwangere Freundin und deren Eltern ausgesetzt sind, riskiert sie für eine Rettungsaktion ihr eigenes Leben, das ihrer Mutter und der heimlichen Helfer.

Die unter Pseudonym schreibende Autorin Lilly Bernstein ist auch als Journalistin tätig. Dies spürt man bei der Lektüre, wenn es um die vielen recherchierten Details geht. In ihrem Nachwort schreibt sie, wie sie als Elfjährige das alte, kleine Ferienhaus in der Eifel schätzen lernte und ihr Herzensort wurde. Dieses Herzblut spürt man in den Naturbeschreibungen und dem Lokalkolorit. Die schlechten Arbeitsbedingungen bei niedrigem Lohn, fehlende Schulbildung und die Auswirkungen des verlorenen Ersten Weltkriegs haben die Not der Dorfbewohner vergrößert. Manche gaben der Eifel den Beinamen das Armenhaus.

Sehr anschaulich führt die Autorin die junge mit einem Handikap versehene Elli als eine liebevolle und zugleich gutgläubige Frauenfigur ein. An der Seite ihrer Mutter, der Hebamme Alma, lernt Elli alles, was eine starke Frau zum Überleben braucht. Es dauert eine Weile, bis sich die junge Frau ihrer eigenen Stärke bewusst wird. Ähnlich lange braucht sie, bis sie die Folgen des politischen Umbruchs in ihrer Tragweite erkennt. Daraus baut die Autorin gekonnt ihren Spannungsbogen auf und macht aus ihrem historischen Roman eine extrem kurzweilige Reise in die Vergangenheit. Abgesehen von ihrer Liebe zur Eifel wird in den Romanen der Autorin auch etwas anderes deutlich: Sie fokussiert die Stärke junger Frauen, die ihren Platz in der Gesellschaft erkämpfen müssen. Es sind Frauen, die aus sich selbst heraus wachsen und nicht darauf warten, von einem Prinzen in ein besseres Leben gerettet zu werden. Denn diese jungen Männer sind teilweise von ihren eigenen Schwächen und Fehlern abgelenkt.

Lilly Bernstein: Sturmmädchen: Freundinnen in dunkler Zeit
Ullstein Paperback, Februar 2024
416 Seiten, Klappenbroschur, 16,99 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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