12. April 2023, 19.30 Uhr, im Dietrich-Keuning-Haus in Dortmund: der Moderator, Journalist und Schriftsteller Jörg Thadeusz stellt gemeinsam mit seiner Lektorin Helga Frese-Resch vom Verlag Kiepenheuer & Witsch sein Buch „Steinhammer“ vor, das am 5. April 2023 erschienen ist. Es ist ein Heimspiel für Thadeusz, der 1968 in Dortmund geboren wurde. In seiner launigen, aufgeräumten Art erzählt er über das Buch und liest daraus vor.
„Steinhammer“ ist die Steinhammerstraße in Dortmund-Marten bzw. Lütgendortmund, in der Jörg Thadeusz einige Jahre selbst gewohnt hat. In dem Buch lebt dort in der Nachkriegszeit die fiktive Familie Woicik. Jörg Thadeusz hat seine Woicik-Geschichte an die Familiengeschichte eines Cousins seines Vaters angelehnt. Der Cousin heißt Norbert Tadeusz (1940-2011) und ist ein bekannter gegenständlicher Maler des späten 20. Jahrhunderts. Er lehrte in Düsseldorf, Berlin und Braunschweig. Allerdings gibt Thadeusz an, dass in seiner Familie wenig über den berühmten Mann gesprochen wurde und dass er selbst auch erst spät auf dessen Werk aufmerksam wurde. Für das Buch „Steinhammer“ hat Thadeusz u.a. mit der Witwe von Norbert Tadeusz, Petra Lemmerz, gesprochen, die ebenfalls Malerin ist.
Kohlenstaub in der Luft
„Steinhammer“ beginnt 1942 mit dem Tod von Edgar Woicik an der russischen Front. Friedel Woicik, Edgars Frau ist schwanger und heiratet später Edgars Bruder Jupp, der einen Friseursalon in der Steinhammerstraße betreibt. Edgar jun., Friedels Sohn, tut sich schwer mit seinem Stiefvater, der möchte, dass er nach der Schule, „was Ordentliches“ lernt. Friedel und Jupp haben die gemeinsame Tochter Inge, die unter Asthma leidet. Dortmund in den 1950-1960er Jahren, da hängt Kohlenstaub in der Luft.
Die Generation Jupp leidet unter ihren Kriegserlebnissen: die Männer saufen, rauchen und schweigen sich ansonsten aus. Edgars Mutter Friedel ist Kürschnerin. Edgar ist mit Nelly, deren Mutter psychisch krank ist und einen Schreibwarenladen betreibt, und mit Jürgen, dessen Vater Deutschlehrer war, im Krieg sein Gehör und seinen linken Arm verlor und nun in einem Kiosk Geld verdient, eng befreundet. Edgar, Nelly und Jürgen wollen raus aus dem „Pott“. Zu Nelly empfindet der heranwachsende Edgar mehr als nur Freundschaft, eine Jugendliebe, die sich nicht erfüllen wird. Über eine Lehre zum Schaufenstergestalter im Kaufhaus Horten gelangt Edgar an die Kunstakademie in Düsseldorf. Als Studierender aus dem Arbeitermilieu hat er es schwer unter seinen bürgerlichen Kommilitonen und Kommilitoninnen. Jürgen macht, ebenfalls bei Horten, eine Ausbildung zum Verkäufer und Nelly geht zu Montblanc nach Hamburg (was wahrscheinlich Jörg Thadeuszs Faible für die noblen Schreibgeräte geschuldet ist. Während der Buchvorstellung erwähnte er seine Sammelleidenschaft). Alle drei kehren dem Ruhrgebiet und ihrer Herkunft den Rücken zu.
Das Dortmund der Nachkriegsjahre
Jörg Thadeusz beschreibt in „Steinhammer“ das Dortmund der Nachkriegsjahre: zerstörte Häuser, kriegsversehrte Menschen, harte Arbeit und dreckige Luft. Kleinteilig (mit Orts- und Zeitangaben über den Kapiteln) schildert er die Entwicklung von Edgar und seinen beiden Freunden von 1957 bis 1962. Und dann, als es spannender wird mit dem Leben der Figuren, springt er auf Seite 299 ins Jahr 2010, kurz vor Edgars 70. Geburtstag. Dieser Zeitsprung erklärt sich mir als Lesende nicht. Es erscheint so, als müsste Thadeusz das Buch nach 300 Seiten zu einem Ende bringen. Und dies auch auf Kosten einer zeitlichen Lücke in der Erzählung von beinahe fünfzig Jahren. Vielleicht ist ihm aber auch die Phantasie abhanden gekommen, was in dieser Zeitspanne mit seinen Figuren hätte geschehen können.
Figuren bleiben blass
Und das ist das große Manko dieses Buches: trotz der berühmten Vorlage bleibt Edgar, wie auch alle anderen Figuren der Geschichte, flach und blass. Thadeusz verleiht ihnen keine Tiefe und auch keine Flügel, die eine kraftvolle Erzählung ausmachen. Ebensowenig wie dem Handlungsort, dem Ruhrgebiet, der Stadt Dortmund oder auch der Kunstakademie in Düsseldorf. Es reicht eben nicht, dort aufgewachsen zu sein, um einen Ort zum Gegenstand von Literatur zu machen. Jörg Thadeuszs Sprache ist unterhaltsam und trägt die Geschichte zwar bei einer Buchvorstellung, wo nur vereinzelte Stellen (von ihm selbst) gelesen werden, oder in Interviews, in denen er im Plauderton erzählt, aber auf die Länge des Buches ist sie dünn und oberflächlich, z.B. wenn er die Atmosphäre an der Kunstakademie in Düsseldorf beschreibt:
„Er malte Zeug, fand Edgar. Wittig konnte einigermaßen zeichnen, ohne dass es wirklich aufregend war. Rumgemache mit Flächen. Aber alles ohne Kraft und ohne Seele. Wen kannte sein reicher Vater in der Leitung der Akademie, dass sein unbegabter Sohn hier einen Platz bekommen hatte?“ (S. 250)
Jörg Thadeusz sagt selbst (z.B. in der NDR Talkshow vom 7. April 2023), dass er sich erst beim Schreiben des Buches und danach für bildende Kunst interessiert hat und ehrlich gesagt, das merkt man dem Buch an.
Jörg Thadeusz: Steinhammer.
Kiepenheuer & Witsch, April 2023.
352 Seiten, Hardcover, 23,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.