Wenn eine Frau wenig eigenes Geld verdient, dann sind die Aussichten für ein gesichertes Leben im Alter alles andere als gut. Im Prinzip ist dies jedem denkenden Mensch klar. Doch diese logische Konsequenz wird häufig verdrängt, weil Sachzwänge oder festgelegte Rollenbilder im Vordergrund stehen.
Wie Rentnerinnen heute mit der Armut umgehen, hat die Herausgeberin Irene Götz anschaulich in einem fundierten Sachbuch festgehalten. Hierfür wurden viele Betroffene über mehrere Jahre von einem Autorenteam begleitet und interviewt. Ihre berührenden Geschichten dienen der Aufklärung.
Untersuchungen zeigen, dass ein finanziell gesicherter Lebensabend kein verbrieftes Recht ist. Das ganze Konzept steht und fällt mit den Einkünften, den Rücklagen und im besten Fall mit einer Erbschaft. Jeder zweite Deutsche wird ein Vermögen erben, sofern der Erblasser nicht schon vorzeitig sein Geld für Pflegekosten ausgegeben hat.
Drei informative Kapitel schlüsseln Hintergründe, Lebenssituationen und Anlaufstellen für Hilfe auf. Das Leben und Arbeiten verschiedener Rentnerinnen in München diente als Ausgangspunkt, um Ursache und Wirkung der Verarmung von Frauen zusammenzufassen. Schnell wird ein Muster sichtbar, bestehend aus Pflichtbewusstsein und Scham. Die aktuellen Lebenshaltungskosten in München können von den Rentnerinnen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, nicht mehr gestemmt werden. Hauptursache ist der unbezahlbare Wohnraum. Der Weg zum Amt wird irgendwann fällig.
Auch die Angst wird größer, wenn Krankheit und altersbedingte körperliche Einschränkungen ein selbstbestimmtes Leben unmöglich machen. Wie die im zweiten Kapitel vorgestellten Frauen exemplarisch ihren Alltag meistern, zollt Respekt und Hochachtung.
Armut hat augenscheinlich ein System: Wozu studieren, wenn eine Frau ja doch Kinder bekommt und sich zu Hause um alles kümmert? Auch heute schnappt die Falle des Pflichtbewusstseins zu. Denn zur Zeit steht Multitasking, ein Begriff aus der EDV, hoch im Kurs. Die moderne Frau soll alles gleichzeitig erledigen: Kinder kriegen, alleine erziehen, Haushalt, dem besser verdienenden Mann den Rücken für seine Karriere freihalten, attraktiv, sexy, immer jugendlich sein und wegen der hohen Lebenshaltungskosten einer Teilzeitarbeit nachgehen.
Wie funktioniert Geld, wenn es wie eine digitalisierte Ressource begriffen wird? Jeden Monat fließt es aus bestimmten Quellen. Aber erst wenn diese Quellen versiegen, wird die Abhängigkeit vom Geldfluss eine Gefahr. Und hier sitzt das eigentliche Problem: Das Verständnis für Finanzen und Grundkenntnisse in Markt- und Finanzwirtschaft werden im Alltag nicht gelernt. Es wird auch in der Schule nicht unterrichtet. Schließlich kommt der Strom aus der Steckdose und das Geld von der Bank.
Im dritten Kapitel finden sich zahlreiche Adressen und Tipps, wo und wie man Hilfe in der Not findet. Wer hier angekommen ist, fühlt sich schnell als Bittsteller. Geben ist bekanntlich leichter als nehmen. Doch wenn ein Mensch sein ganzes Leben lang mehr gegeben als genommen hat, darf er dann mit einer ausgleichenden Gerechtigkeit rechnen? Unbürokratische, schnelle Hilfe in der Not funktioniert anders. Für alles gibt es Regeln, Formulare und Behördengänge. Hierfür hat die Politik (der Männer) gesorgt.
In einer Leistungsgesellschaft genießt jeder gern kostenlos Hilfe. Gleichzeitig wird die Selbstlosigkeit dieser Helfer bestraft, weil diese nur nach ihrer persönlichen Bonität bewertet werden. Wie funktioniert eine Gesellschaft, wenn jeder nur die persönliche Profitmaximierung im Sinn hat? Müsste dann jede Handreichung bezahlt werden!? Wer nur nach dem Geld schaut, hätte dies sicherlich in jeder Hinsicht verdient. Ob das Gehalt dann noch zum Leben reicht, bleibt eine Frage der Kalkulation.
Irene Götz (Hrsg.): Kein Ruhestand: Wie Frauen mit Altersarmut umgehen.
Verlag Antje Kunstmann, März 2019.
280 Seiten, Taschenbuch, 20,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.