Helen Cullen: Der Riss, durch den das Licht eindringt

Die Irin Helen Cullen lebt in London. 2019 erschien ihr erster Roman „Die verlorenen Briefe des William Woolf“. Nun veröffentlichte der Wilhelm Goldmann Verlag (Wunderraum) am 14. Juni 2022 Cullens zweiten Roman mit dem Titel „Der Riss, durch den das Licht eindringt“. Jörn Ingwersen übersetzte das Buch aus dem Englischen.

Helen Cullens „Der Riss, durch den das Licht eindringt“ trägt einen sperrigen deutschen Titel. In der Originalausgabe von 2020 heisst das Buch „The Truth Must Dazzle Gradually“ und stammt aus einem Gedicht von Emily Dickinson.

Der Roman startet am Heiligabend im Jahre 2005 mit dem Selbstmord von Maeve Moone. Maeve hinterlässt ihren Mann Murtagh und die Kinder Nollaig, Tomás, Dillon und Sive. Murtagh ist Töpfer. Die Familie lebt auf der kleinen irischen Insel Inis Óg.

Danach springt Cullen nach Dublin in das Frühjahr des Jahres 1978 zurück, in dem sich die Amerikanerin Maeve und der Ire Murtagh kennenlernen, und erzählt die Familiengeschichte der Moones bis zum Heiligabend des Jahres 2015.

Aus Amerika mit einem Stipendium kommend spielt Maeve Morelli Theater am Trinity College in Dublin und leidet unter Angststörungen und Depressionen. Murtagh studiert Keramik. Sie verlieben sich, Maeve wird schwanger und Murtagh nimmt eine Stelle als Töpfer auf Inis Óg an. Maeve bekommt vier Kinder, darunter die Zwillinge Tomás und Dillon. Sie leidet immer wieder unter Schüben ihrer Krankheit, glaubt eine schlechte Mutter zu sein. Murtagh liebt Maeve, kann ihr aber nicht helfen. Eines Tages taucht der Student Fionn aus Birmingham auf der Insel auf und schliesst Freundschaft mit dem Paar. Allerdings verlässt er die Insel nach den Sommerferien abrupt. Die Kinder der Moones nehmen unterschiedliche Wege zum Erwachsenwerden. Einzig die Älteste, Nollaig, bleibt nach dem Tod von Maeve bei ihrem Vater auf der Insel. Murtagh ist verschlossen und einsam bis der Roman eine wundersame Wendung nimmt.

Helen Cullen hat eine Familiengeschichte geschrieben, die sich zu Anfang berührend und interessant liest. Leider erfüllt der Roman meine Erwartungen als Lesende in seinem weiteren Verlauf nicht. Hier reicht er lediglich an die Qualität mancher ARD-Schmonzetten vom Freitagabend heran.

Maeves innere Zerrissenheit und Verzweiflung beschreibt Helen Cullen allzu platt. So reiht sie mangels sprachlicher Phantasie Klischee-Beschreibung an Klischee-Beschreibung:

„Ihre Knie wurden weich. Plötzlich stand ihr der Schweiß auf der Stirn. Ihr Herz fing an zu rasen. Der Mund wurde trocken. Die Hände zitterten. Vor ihren Augen verschwamm alles, und die leuchtende Glühbirne wurde groß wie die Sonne. Maeve hockte sich in der Ecke auf einen Stapel alter Zeitungen, kniff die Augen zusammen und zählte von tausend rückwärts.“ (S. 58)

Auch Murtagh und die Kinder bleiben enttäuschend blaß gezeichnet. Die schöne Landschaft Irlands als Kulisse ändert auch nichts an den wenig überzeugenden Figuren und der simplen Handlung des Romans. Und nicht zuletzt bringt sich Helen Cullen mit einer für mich völlig absurden und durch nichts nachvollziehbaren Wendung in Murtaghs Leben um eine positive Besprechung ihres Romans meinerseits.

Will man als Leserin oder Leser wirklich beeindruckende, hervorragende Literatur zum Thema Familie und Umgang mit Verlust lesen, so greife man doch besser zu: Morgan Callan Rogers’ „Rubinrotes Herz, eisblaue See“ (2010, nicht vom kitschigen Titel abschrecken lassen!) oder Delia Owens’ „Der Gesang der Flusskrebse“ (2019) oder Mareike Fallwickls „Die Wut, die bleibt“ (2022). Helen Cullens Roman „Der Riss, durch den das Licht eindringt“ dagegen kann ich nicht empfehlen.

Helen Cullen: Der Riss, durch den das Licht eindringt.
Aus dem Englischen übersetzt von Jörn Ingwersen.
Goldmann, Juni 2022.
368 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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