Einst, lange bevor der Höchste die Menschen erschuf, waren sie die Herren der Erde – die Vampire.
Seit Jahrtausenden wachten sie über die Welt, regierten im Auftrag des Herren die Menschheit.
Doch es kam, wie es kommen musste, in einem Kampf besiegten die menschlichen Horden die Vampire, die wenigen Überlebenden zogen sich zurück, versteckten sich und durften kein Blut mehr von den Menschen trinken.
Sie, die einstigen Herren sind zu Aasfresser verkommen, doch immer noch schützen sie, im Auftrag des Höchsten die Welt.
Eigentlich, so sah es der göttliche Plan vor, sollten die Menschen schon lange getilgt werden, allein aus Liebe zu den Vampiren hat Gott bislang seinen Plan aufgeschoben und sie wieder im Rang erhoben.
Seitdem brechen die asphaltierten Straßen auf, fallen die Städte in einem Krieg, den die Menschheit nicht gewinnen kann.
In ihrer Verzweiflung bitten die Menschen die Engel um Rat – ein Schattenspiel zu Ehren Gottes, des Höchsten, der für Schmeicheleien empfänglich ist, soll die Wende bringen. Während die Eroberung der Städte durch die Vampire fortschreitet, beginnen die Dichter damit, Verse zur Lobpreisung des Höchsten zu schaffen, und das Schauspiel vorzubereiten.
Als Graf Dracula unerwartet stirbt, setzt Gott den Vampire ein Ultimatum – sofern die Erde nicht bis zum Morgengrauen in Händen der Vampire ist, soll ihre Erhebung rückgängig gemacht werden, die Menschheit von ihren Joch befreit werden …
Was ist dies für ein Kurzroman, schon eher eine Novelle, als ein Roman, den uns der Verlag in handwerklich vorbildlicher Ausstattung vorlegt?
In Halbleinen gebunden mit einem Lesebändchen versehen, auf gutem Papier gedruckt und nicht nur vorzüglich, sondern, das Nachwort beweist es, kenntnisreich ins Deutsche übertragen wartet ein gar ungewöhnlicher Vampirplot auf uns.
Wir kennen sie mittlerweile zur Genüge, die Vampire sind uns aus Filmen wie Büchern leidlich bekannt.
Jesis´ Vampire aber sind anders, bewegen sich in einem ganz ungewöhnlichen Kontext und verhalten sich – merkwürdig.
Der Autor stellt uns eine Rasse vor, die den Höchsten verehrt, ihn aber nicht vergöttert, eine Rasse, die einst als Herrscher über die Erde thronte, die sich die Menschen untertan machte, jetzt aber von ihren einstigen Sklaven unterworfen im Verborgenen dahinvegetiert.
Dass sie, die sich selbst kulturell als überlegen sieht, vom Herren selbst wieder in alten Stand erhoben werden, führt dazu, dass der Konflikt von Neuem aufflammt. Einzig, in der Wertschätzung der Kunst sowohl durch die Bluttrinker wie auch durch Gott selbst liegt der Schlüssel zur Erlösung der Menschheit.
So ist dieses Werk auch, nein in erster Linie eine Parabel über die Macht der Kunst, über die Auswirkung der Schöpfung. Das ist sowohl in seiner feinsinnigen Sprache, als auch in seiner Ausgestaltung ungewöhnlich, liest sich anders, interessant und bietet sich somit auch dem Kenner der Vampir-Legende als neu dar.
Noch einige kurze Worte zur bislang relativ unbekannten Reihe. Der Verlag stellt diese, durchaus zutreffend, wie folgt dar: „Die „Bibliothek der Nacht“ wird von Thomas Ballhausen unter Mithilfe eines internationalen Boards an BeraterInnen und UnterstützerInnen herausgegeben und möchte phantastische Literatur abseits des Mainstreams in stimmiger Form präsentieren. Dabei wird einerseits von einem etwas weiter gefassten Phantastik-Begriff ausgegangen und andererseits der Fokus auf europäische Literatur gelegt (d.h. wir beschränken uns nicht auf deutschsprachige Literatur, sondern nehmen auch Übersetzungen mit hinein). Die Ausstattung der Bücher soll dem Anspruch dieses Reihenprojekts natürlich entsprechen“. Nicht nur ein hehres Ziel, auch die bislang erschienen zwei Bände werden diesen Vorgaben gerecht und bieten gehobenen Lesegenuss abseits der ausgetretenen Pfade an.
Furio Jesi: Bibliothek der Nacht 02: Die letzte Nacht.
Edition Atelier, September 2015.
136 Seiten, Gebundene Ausgabe, 16,95 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.