Der Autor erzählt uns eine Geschichte, die, so ist zu befürchten, öfter als man sich vorstellen möchte in der DDR geschah. Frank Goldammer, 1975 in Dresden geboren, ist erfolgreich mit seinen im Nachkriegs-Dresden angesiedelten, historischen Kriminalromanen.
Eine junge Frau, Ricarda, wird kurz vor der Entbindung ins Krankenhaus eingeliefert. Es ist das Jahr 1973, wir befinden uns in Dresden. Während der Geburt, bei der ihr eigener Vater, an der Klinik Leiter der gynäkologischen Abteilung, anwesend ist, gibt es Komplikationen und das Kind kommt tot zur Welt. So erzählt man der verzweifelten Mutter und dem jungen Vater. Doch Ricarda wird sich nie mit dieser Aussage abfinden, immer über all die folgenden Jahre und Jahrzehnte, wird sie daran zweifeln, dass ihre Tochter tot ist. Sie wird nach ihr suchen, sie wird Nachforschungen anstellen, bei Polizei und Anwälten um Hilfe bitten. Doch mit ihren Eltern und besonders mit ihrem Vater wird sie nie über die Geburt und ihr Kind sprechen.
In einer Parallelhandlung lernen wir den Polizisten Rust kennen, dessen Frau zeitgleich mit Ricarda in der Klinik auf die Geburt ihres ersten Kindes wartet. Dadurch erfährt er von der Totgeburt und weil ihm die Sache suspekt erscheint, beginnt er ebenfalls nachzuforschen.
Dem Autor gelingt es sehr gut, die Verhältnisse, die Stimmung und die gegenseitigen Verdächtigungen, das Misstrauen und die Nöte der Menschen in der DDR zu dieser Zeit zu schildern. Was im Hinblick auf seine Herkunft nicht überrascht. Dabei umschifft er zwar nicht jedes Klischee, aber manchmal ist die Realität eben ein großes Klischee.
Die Handlung erstreckt sich über etliche Jahrzehnte und wird auf verschiedenen Zeitebenen erzählt, beginnend 1973, dann gibt es Szenen, die sich 1989 zutragen. Ricardas Leben und ihre immerwährende Suche nach der vermeintlich lebenden Tochter begleitet die Leserin über die 90er Jahre bis in die heutige Gegenwart. Dabei sind die Zeitsprünge manchmal etwas verwirrend, man verliert den Faden, die Spannung, die entstehen soll, verpufft dadurch.
Und nicht nur die Spannung fehlt, auch die Figuren sind seltsam flach, als Leserin kann ich keine Beziehung aufbauen, es entsteht kein Mitempfinden, kein Mitleid. Vor allem an Ricarda als der Protagonistin fehlen mir die Eigenschaften, die tieferen Charakterzüge, die es mir leicht gemacht hätten, mit ihrem Schicksal mitzufiebern. Die Dialoge wirken hölzern, unnatürlich, wenig lebensecht. All das ist schade, denn das Thema, dessen sich der Autor annimmt, ist wichtig, es hätte einen emotionaleren, aufrüttelnderen Stil verdient.
Frank Goldammer: Zwei fremde Leben.
dtv, Juli 2020.
400 Seiten, Taschenbuch, 16,90 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.