Yves Grevet: Vront: Was ist die Wahrheit?

Die Erwachsenen meinen es mit ihren Kindern natürlich gut, erst recht wenn es um Schutz und Sicherheit geht. Und LongLife verspricht dies alles, wenn jeder ein Transplantat im Körper trägt. Diese Sicherheit beginnt beim täglichen Gesundheitscheck. Auch die Erziehung erleichtert LongLife mit der Festlegung der Aktionsradien der Kinder, die vom Transplantat mit Stromstößen für Grenzüberschreitungen bestraft werden. Auch das nächtliche Ausgehverbot ist einprogrammierbar.

Für den siebzehnjährigen Scott ist die totale Überwachung ein Gräuel. Schon als kleiner Junge begehrte er auf, und als junger Erwachsener hat er mit seinen Freunden einen Weg gefunden, LongLife auszutricksen. Ihre politische Bewegung Vront ist plötzlich in aller Munde. Manche sprechen von jugendlichen Terroristen. Und dann wird Scott verhaftet und zu einer längeren Haftstrafe verurteilt. Für seinen jüngeren Bruder Stan ist dies eine Katastrophe. Er hat Angst um seinen Bruder, der für ihn immer ein Vorbild ist. Dass die namenlose Angst den Machtkampf zwischen dem Staat und einer Verbrecherorganisation ankündigt, können sich die Brüder zunächst in ihren verrücktesten Träumen kaum vorstellen. Wie wehrt man sich, wenn andere einen als Spielfigur benutzen und kaltherzig zu opfern bereit sind?

Yves Grevet hat mit seinem spannenden Jugendroman das wichtige Thema der Freiheit aufgegriffen. Die Ich-Erzähler Scott und Stan stehen sich sehr nahe, auch wenn zwischen ihnen drei Jahre Altersunterschied sind. Manchmal sieht es so aus, als würde Scott seinen kleinen Bruder wie ein Vater vor Gefahren beschützen. Doch er weiß auch, wie beharrlich Stan offenen Fragen nachgeht. Was ist die Wahrheit? Zu viele Interessengruppen sind an einer Verschleierung interessiert.

Extrem spannend und glaubwürdig baut Yves Grevet eine Geschichte in der nahen Zukunft auf, die seit George Orwells Roman 1984, einen wichtigen Aspekt in die Literaturlandschaft einbringt. Ihm geht es um die freiheitliche Entwicklung der Kinder, die nächste Generation der Erwachsenen. Der Autor erzählt in seinem zwölften Buch, übersetzt von Nadine Püschel, die Aspekte der Unfreiheit überwiegend aus der Sicht von Stan und Scott, die beide mit ihrem eigenen Sprachstil von ihren Erlebnissen berichten. Schnell begreift man als Leser, es geht um mehr als Leben und Tod. Es geht um den Nährboden für jede Existenz.

Yves Grevet widmet sein wunderbares Buch seinen Brüdern und beginnt mit einem Sprichwort der Lakota: „Urteile nicht über einen Bruder, bevor du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gegangen bist.“ In der Übersetzung bedeutet Lakota Freunde beziehungsweise Verbündete. In diesem Zusammenhang darf man die Widmung weitreichender verstehen als über die engen Grenzen der eigenen Familie. Wir sind alle gemeint.

Yves Grevet: Vront: Was ist die Wahrheit?.
mixtvision, Februar 2020.
500 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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