Edvard Hoem: Der Heumacher

Der Norweger Edvard Hoem schreibt in seinem Nachwort, „Der Heumacher ist ein Roman, gewebt aus spärlichen Erinnerungen an Personen, die tatsächlich gelebt haben.“ (S. 322) Aus den Erzählungen seines Vaters erfuhr er vom Leben des Heumachers, Knut Hansen Nesje. Die Eckdaten entnahm er den Kirchenbüchern, Zeitungen und anderen Quellen. „Seit meiner Jugend hat mich der Gedanke begleitet, über Menschen zu schreiben, die sich für ihren Lebensunterhalt abplagten, die Entbehrungen und Nöte kannten, die aber auch große Träume hegten – davon, dass einmal bessere Zeiten kommen würden.“ (S. 322)

Im Zentrum seines Romans steht unter anderem Nesje, der Heumacher, der zugleich der jüngste Sohn der Hebamme war. Von seinem hochgelegenen Pachtgrundstück aus kann er auf die stetig wachsende Stadt Molde herunterschauen, die sich immer mehr dem Tourismus öffnet. Sein Traum ist es, eines Tages das von ihm bestellte Stück Land zu besitzen.

Als Nesje jung war, verhandelte er mit dem Besitzer des Hanggrundstücks. Der Großbauer stellte ihm das schwer zugängliche Land zur Verfügung, und er verpflichtete sich im Gegenzug, für den Bauern zu arbeiten. Im Laufe der Jahre baute er ein Holzhaus, einen kleinen Stall und gründete eine Familie.

1874 lernt er Serianna an der Mole des Großbauern kennen, die ihn auf einen Schwarm Seelachse aufmerksam macht. Kurzerhand leiht sich Nesje Boot und Netz von seinem Arbeitgeber aus. Im Ruderboot sieht Nesje, wie gut die Fremde arbeiten kann. Als sie nach dem erfolgreichen Fang die Fische dem Großbauern übergeben wollen, darf Nesje diese behalten. Aber auch Serianna macht einen guten Fang: Der Großbauer gibt ihr eine Arbeit auf seinem Hof. Im Laufe der nächsten Wochen stechen die beiden zusammen Torf, und später arbeitet sie bei der Heuernte mit. Nesje gefällt die Pfeife rauchende Serianna so sehr, dass sie recht schnell ein Paar werden.

Der Autor Edvard Hoem hat sich entschlossen, das karge Leben in seinen Schreibstil einfließen zu lassen und allmählich der Poesie immer mehr Raum zu schenken. Scheinbar schlicht und zurückhaltend beginnt die Geschichte einer Familie, die extremen Lebensbedingungen ausgesetzt sind. Seriannas Schwester zum Beispiel wandert mit ihrer Familie nach Amerika aus. Sehr anschaulich beschreibt der Autor, wie sie mit Säugling und Kleinkindern und Ehemann Ole die lange Reise über vier Monate bewältigt. Sie folgen dem Ruf ihres Bruders. Angeblich würde Ole der Sattelmacher dringend gebraucht. Doch nach einem halben Jahr muss dieser sich dem örtlichen Preisdiktat beugen. Wie kann man mit kleinen Kindern ein Leben beginnen, wenn es im Winter extreme Minustemperaturen gibt und einen kurzen Sommer? Alte Abhängigkeiten werden durch neue ersetzt. Und während die norwegischen Auswanderer in South-Dakota ihr Glück versuchen, hofft Nesje auf die Einhaltung der mündlich getroffenen Vertragsvereinbarungen mit dem Großbauern.

Edvard Hoem schenkt seiner Leserschaft eine beeindruckende Zeitreise mit besonderen Charakteren. Nesje „… war jemand, der sich nicht selbst hervorheben, sich aber auch nicht erniedrigen wolle – jemand, der sich das Recht nahm, aber nichts an sich raffte, jemand, der zu seinem Wort stand, auch wenn andre es nicht taten.“ (S. 300)

Seine selbstbewusste Schwägerin dagegen verändert sich, weil sie es muss.

Wer sich den Werken des bedeutenden Schriftstellers Edvard Hoem widmen möchte, um in die Vergangenheit Norwegens einzutauchen, sind auch seine Romane „Die Hebamme“ und „Der Geigenbauer“ zu empfehlen.

Edvard Hoem: Der Heumacher
Aus dem Norwegischen übersetzt von Antje Subey-Cramer
Urachhaus, Februar 2024
322 Seiten, gebundene Ausgabe, 28,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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