Delilah S. Dawson: The Violence

Die Martins sind eine Vorzeige-Familie. David hat einen gutbezahlten Job mit Freunden in hoher Position; Chelsea ist die hübsche, blonde Hausfrau, die immer ein Lächeln auf den Lippen hat; die ältere Tochter Ella hat immer gute Noten und ihre kleine Schwester Brooklyn ist einfach nur ein Engel. In einer abgesperrten Wohngemeinschaft sind sie so sicher, wie man es in Amerika nur sein kann – zumindest was Gefahren von außerhalb angeht. Doch was, wenn die Bedrohung von innen kommt? Hinter geschlossenen Vorhängen ist David ein gewalttätiger Psychopath, der seine Frau schikaniert und regelmäßig zur Ohnmacht würgt. Spuren hinterlässt das nicht, zumindest keine körperlichen und eigentlich ist da auch niemand, der Chelsea fragen könnte, wie es ihr geht und ob alles gut ist. David hat alle Freunde vergrault, die sie je hatte. Sie ist von ihm abhängig. Ihm schutzlos ausgeliefert.

Währenddessen wird die Welt von einer Tragödie heimgesucht, die Chelseas Alltag in Sachen Gewalt in nichts nachsteht: Ein Virus, das von Mücken auf Menschen übertragen wird, sorgt dafür, dass Infizierte unkontrollierbare Gewaltausbrüche haben, die erst enden, wenn ihr Gegenüber tot ist. Ein Impfstoff ist zwar entwickelt, aber so exklusiv, dass ihn sich nur die Reichsten der Oberschicht leisten können.

Chelsea sieht ihre Chance, der Gewalt in ihrem Haushalt für immer zu entkommen. Sie reizt David, bis er sie schlägt und misshandelt und zeigt ihn bei den Behörden als Infizierten an. Ihr Plan geht auf – bis sie selbst einen Anfall hat und begreift, dass ihre Töchter bei ihr nicht länger sicher sind. Sie muss sich alleine durchschlagen und versuchen, das selbstständige Leben aufzubauen, das sie nie hatte, um sich und ihre Kinder endgültig zu retten.

Herzzerreißende Geschichte

Ich wollte dieses Buch in einem Zug durchlesen, weil es so spannend ist, musste es aber immer wieder weglegen, weil es mich so schockiert hat. Dass die Autorin hier ihre eigenen Erfahrungen und Traumata verarbeitet, macht es umso realer. Es ist eine herzzerreißende Geschichte aus der Perspektive von drei Frauen, die jede für sich versuchen, den endlosen Kreis der Gewalt und Verzweiflung zu durchbrechen. Neben Chelsea lesen wir auch aus der Perspektive ihrer Mutter, die nach außen hin kaltherzig und gleichgültig erscheint, in Wahrheit aber als verstoßene Teenager-Mutter nur versucht hat, ihr Kind zu einer Kämpferin zu erziehen, er das Leben nicht so zusetzen kann, wie es bei ihr der Fall war. Und dann natürlich die Perspektive von Ella, der älteren Tochter, die zu schnell erwachsen werden musste, um ihre kleine Schwester vor Dingen zu beschützen, vor denen sie niemand beschützt hat – denn Davids Misshandlungen enden nicht bei Chelsea.

Corona-Pandemie überbetont

Was auf die Dauer beim Lesen etwas nervt, ist die andauernde Betonung der Corona-Pandemie. Natürlich wurde das Buch in einer hiervon geprägten Zeit verfasst und greift mit der Virus-Thematik definitiv wichtige Aspekte davon auf. Irgendwann hat es der Leser aber auch verstanden und das eigentliche Problem – die gesellschaftlich normierte Gewalt gegen Frauen im Alltag – tritt etwas in den Hintergrund. Auch die Lösung aller Probleme, der mysteriöse Impfstoff, wird etwas zu oberflächlich eingeführt; wieso genau die Krankheit so leicht zu heilen sein soll, wird offen gelassen. Spannende Aspekte, wie die Klassentrennung und der Rassismus, die mit dem politischen Umgang mit der Krankheit einhergehen, hätten weiter ausgeführt werden können.

Als das, was es ist, funktioniert das Buch aber großartig. Die Frauenfiguren reißen den Leser mit in ihr Schicksal und jede Gewalt, die ihnen angetan wird, empfindet man als Gewalt an sich selbst. Ein schockierender Roman, definitiv nichts für schwache Nerven. Gewaltschilderungen sind sehr explizit. Wer damit umgehen kann: Es lohnt sich!

Delilah S. Dawson: The Violence.
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Maike Hallmann.
Heyne, Februar 2023.
682 Seiten, Taschenbuch, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Isabella M. Banger.

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