Daniel Schreiber: Die Zeit der Verluste

Daniel Schreiber (Jahrgang 1977) arbeitet als Autor, Übersetzer und Kolumnist. Er lebt in Berlin. Zuletzt erschien 2021 sein Essay „Allein“. Mit „Die Zeit der Verluste“ veröffentlichte Hanser Berlin im Carl Hanser Verlag am 20. November 2023 Daniel Schreibers neueste Abhandlung.

Tod, Trauer und Verluste

„Die Zeit der Verluste“ von Daniel Schreiber ist ein schmales Buch zu einem großen Thema. Nach dem Tod seines Vaters befindet sich Schreiber während eines Stipendiats in Venedig. Es ist Winter, kurz vor Beginn des Karnevals. An einem Tag im Nebel wacht Daniel Schreiber in einem Gästezimmer des Palazzo Barbarigo auf, in dem das Centro Tedesco di Studi Veneziani untergebracht ist. Er trauert um seinen Vater, der vor einiger Zeit nach langer Krankheit verstorben ist:

„Die Trauer um ihn begleitet mich jeden Tag. Zugleich habe ich das Gefühl, so viel mehr verloren zu haben als meinen Vater.“ (S. 11)

Mit Daniel Schreiber gehen wir durch die Gassen Venedigs, fahren mit dem Vaporetto über die Lagune auf die Friedhofsinsel Isola San Michele und betreten die Museen der Stadt mit ihren Bellinis, Carpaccios, Tizians und Veroneses. Dabei lässt er uns an seinen Gedanken zu Tod, Trauer und Verlusten teilhaben. Wie schon in seinen Essays „Nüchtern“, „Zuhause“ und „Allein“ erzählt Daniel Schreiber sehr persönlich und subjektiv von seinen Gefühlen und Erfahrungen, aber wie gewohnt verweist er auch auf Literatur, Psychologie, Soziologie und Philosophie zu diesen Themen. Diese Mischung macht seine Texte für mich als Lesende zu einem wahrhaft interessanten Leseerlebnis. Von seinem persönlichen Verlusten ausgehend schlägt er den Bogen zu dem Gefühl des Verlorenseins, des Verlustes von Stabilität in der heutigen Zeit und Welt:

„Ich habe den Eindruck, in einer Welt zu leben, die mir bekannt vorkommt, die immer noch nach vielen der mir vertrauten Regeln funktioniert, aber dennoch durch eine andere, eine unheimliche Version ihrer selbst ersetzt wurde.“ (S. 9)

Da kann einem beim Lesen Angst und Bange werden. Wäre da nicht auch ein Fünkchen Zuversicht, dass das Zulassen von Trauer und Traurigkeit und das Erkennen der kleinen, feinen Glücksmomente in unserem Leben einen Weg aus der Düsternis zeigen. Für Daniel Schreiber verhindert das Verdrängen und die Abwehr von Schmerz und Traurigkeit, dass wir Menschen uns diesen tiefen Gefühlen stellen. Mit dem Auslagern von Sterbeprozessen in öffentliche oder private Einrichtungen, der Abschaffung von Ritualen zu Tod und Bestattung haben wir verlernt, das Trauern zu zulassen, uns damit zu beschäftigen oder uns darüber auszutauschen. Einen wirklichen Abschluss von Trauerarbeit gibt es nicht, er ist ein „Mythos“ (s. S. 35). Vielleicht wird es leichter, aber es vergeht nicht.

Gespenster, Hoffnung und Zukunft

Daniel Schreiber will sich seinen „Gespenstern“, seiner Trauer, seiner Angst und den Erschütterungen, die sie mit sich bringen, stellen.

So endet Daniel Schreibers Buch „Die Zeit der Verluste“ in der Hoffnung, „dass die Zukunft trotz allem noch nicht geschrieben, sondern Zukunft ist.“ (S. 127)

Bitte lesen!

Daniel Schreiber: Die Zeit der Verluste.
Hanser Berlin, 20. November 2023.
144 Seiten, Gebunden, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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