Christian von Aster: Die große Erzferkelprophezeiung 02: Das abartige Artefakt

Willkommen in der etwas anderen Welt der Zwerge. Vor Urzeiten, im letzten großen Krieg der Zwerge, wurden alle weiblichen Vertreter der trink- und prügelfreudigen Stollenbewohner getötet. Seitdem werden die letzten Eier – ja, auch wenn sie es bisher nicht wussten, Zwerge schlüpfen aus Eiern – gehütet, wie kein anderer Schatz der Kleinwüchsigen mit ihren Bärten. Für jeden Zwerg, der ins Reich des Todes eingeht, werden zwei der Eier der streng bewachten Schatzkammer entnommen. Doch mittlerweile hat der Vorrat stark abgenommen, das Ende der stolzen Zwergengeschlechter scheint absehbar.

Eine Prophezeiung über den Untergang der stolzen Kleinen gibt es auch, die Erdferkelprophezeiung spricht von einem Zwerg, der kein Bier trinkt – eigentlich unvorstellbar, ja ein Widerspruch in sich selbst – und von weiteren Vorzeichen. Nachdem der Neue Stahl vom Schicksalszwerg – einer Gruppe findiger, altgedienter aber eben auch unwilliger Zwerge – besiegt wurde, könnte Ruhe in die Stollen einkehren. Die Erdferkelprophezeiung scheint abgewendet, die Bösen Zwerge in die ewige Esse geschickt. Doch erstens kommt es anders, als zweitens ein bierseeliger Zwerg meistens denkt.

Was ist das Schlimmste, das einem aufrechten Zwerg wohl passieren kann? Dass sein Bart nicht wächst – eine Katastrophe, dass sein Bier zu dünn ist, ein Weltuntergang, dass seine Spitzhacke nicht länger auf festes Gestein trifft undenkbar – und doch gibt es etwas, das stellt all diese Horrorszenarien weit in den Schatten. Es geht um das „Undenkbare“. In einer kryptischen Kammer, am Ende eines geheimen, mit Fallen nur so gespickten Ganges im tiefsten Schacht des Gebirges versteckt, verbirgt sich das grösste Geheimnis der Zwergenheit. Ein sprechender Stein, ein Gott gar wie man munkelt, reaktiviert den Schicksalszwerg, doch auch das organisierte Verbrechen macht sich auf, das grosse Mysterium der kleinen, trinkfreudigen Dickköpfe zu lösen und dabei alles, was den Zwergen heilig ist zu zerstören…

Christian von Aster ist dem Freund phantastischer Literatur kein Unbekannter. Mittlerweile hat er diverse, von Kritikern hochgelobte Werke publiziert, Klett-Cotta legt seinen etwas anderen Zyklus um die Zwerge neu auf. Einmal mehr sollen es also die Kleinen richten. Zwerge, eine bedrohte Spezies, glaubt man zumindest den Autoren, die ihre kurzgeratenen Gesellen ein ums andere Mal dem Bösen aussetzen.

Nun sind aber von Asters Zwerge eine ganz eigene Kreation. Weibliche Zwerge, gar noch mit einem imposanten Bart versehen, das sucht man vergebens, auch am inneren Zusammenhalt des Stammes scheint es zu mangeln. Ganz bewusst hat der Autor versucht, sich von bekannten Werken abzugrenzen, eigene Stollen durchs Gebirge zu treiben und kann damit punkten. Gerade die Tatsache, dass uns kein müder Abklatsch Heintz´scher Vorbilder erwartet, erhöht den Lesegenuss. Dabei nimmt er so manches Mal die üblich-typischen Versatzstücke entsprechender Bestseller aufs Korn, persifliert ironisch bekannte Plots und scheinbar felsenfeste Vorgaben. Vorliegend merkt man dem Roman zu Beginn an, dass von Aster dem Verlag zunächst nur einen Einzelroman angeboten und geliefert hat. Die Geschichte war erzählt, lose Enden in sich logisch verknüpft miteinander verbunden, so dass der Autor sich zunächst eine neue Queste ausdenken musste. Nachdem er die Bösewichter im Finale des Auftaktromans entsorgt hatte, war es gar nicht so einfach glaubwürdig neue Antagonisten unseres wackeren Schicksalszwergs zu kreieren. Mit der Einführung des organisierten Verbrechens, mit einer Revolution von unten, mit Demagogen und Diktatoren aber nimmt von Aster diese Hürde mit Bravour.

Mit viel augenzwinkerndem Humor, einem göttlichen Stein der im Drogenrausch zu seinen Anhängern spricht, mit genialen Erfindern, unwilligen Helden und einer nach einer, kurzen Durststrecke zu Beginn, rasanten Handlung geht von Aster in die Vollen. Spitzhacke raus, Grubenlampen an und auf geht’s hinein ins zwergische Abenteuer. Dabei nimmt er auch dieses Mal die üblichen Verdächtigen und die gewohnten Versatzstücke der Zwergen-Epen gehörig auf die Schippe, unterhält spannend, kurzweilig und stilistisch ansprechend – was will man mehr?

Christian von Aster: Die große Erdferkelprophezeiung 02: Das abartige Artefakt.
Klett-Cotta, September 2020.
416 Seiten, Taschenbuch, 12,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.

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