London nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Mildred Lathbury ist eine Pfarrerstochter über Dreißig. Anders ausgedrückt: eine alte Jungfer! Zudem ist sie eine „vortreffliche“ Frau – fleißig, bescheiden, anspruchslos, stets um das Wohlergehen anderer bemüht. Sie lebt in einer kleinen Wohnung, arbeitet halbtags für eine Organisation, die sich um verarmte Witwen kümmert und bringt sich in ihrer Freizeit in der Kirchengemeinde ein. Einen Mann vermisst sie nicht, dafür hat sie gute Freunde wie den Gemeindepfarrer Julian Malory und seine Schwester Winifred.
Mit dem beschaulichen Leben ist es vorbei, als das Ehepaar Napier in Mildreds Haus einzieht. Die Anthropologin und der ehemalige Marine-Offizier führen ein exotisches Leben. Sie trinken bevorzugt Wein statt Tee und debattieren doppelzüngig über allerlei anrüchige Themen, angefangen beim Klopapier bis hin zu italienischen Mätressen. Hinzu kommen ständige Streitereien. Von dieser Welt ist Mildred ebenso fasziniert, wie überfordert. Denn schneller als ihr lieb ist, wird sie in ein Ehe-Drama hineingezogen. Zum einen harmonieren die chaotische Helena und der ordnungsliebende Rockingham im Alltag nicht besonders. Zum anderen scheint sich Helena zu ihrem Kollegen, dem Anthropologen Everand Bone, hingezogen zu fühlen. Rockingham ist hingegen ein Charmeur und Frauenheld erster Güte. Auch Mildred ist gegen diesen Charme nicht immun. Wohl wissend, dass sich dies bei einem verheirateten Mann nicht gehört.
Doch Mildred ist als „vortreffliche“ Frau ohnehin nur dazu da, bei Ehekrisen zu trösten, zu vermitteln und Tee auszuschenken. Außerdem läuft ihr ständig Everand Bone über den Weg, in dessen Gegenwart sie sich etwas plump vorkommt. Zu allem Überfluss sind Mildreds Seelentröster-Dienste plötzlich auch im Pfarrhaus gefragt. Denn Julian, der sich eigentlich nie verheiraten wollte, hat sich ausgerechnet in die kapriziöse Pfarrerswitwe Allegra verliebt, die das obere Stockwert bezogen hat. Dumm nur, dass die liebe Winifred plötzlich als drittes Rad am Wagen auf der Strecke bleibt.
Barbara Pym hat ein Händchen für komische Alltagssituationen. Beispiel: Mildred ist es peinlich, dass sie ihrer neuen Nachbarin, welche selbstredend attraktiv und elegant in Erscheinung tritt, das erste Mal ausgerechnet in wenig vorteilhaftem Gewand vor der Mülltonne begegnet. Dabei wollte Mildred sie doch zu einer kultivierten Tasse Tee mitsamt Keksen auf Silberschälchen einladen!
Der regelmäßige innere Zwiespalt zwischen Mildred, der Singlefrau und Mildred, der Pfarrerstochter hat ebenfalls einige großartige Szenen hervorgebracht. Trotz besseren Wissens schielt Mildred lieber heimlich durchs Treppenhausgeländer und beobachtet den Einzug der exotischen Nachbarn, statt ihre Hilfe anzubieten. Dies tut sie erst, nachdem feststeht, dass praktisch alles erledigt ist. Ebenso amüsant lesen sich die Situationen, in denen Mildred über ihre Mitmenschen lästert und sogleich das Gefühl bekommt, alles wieder relativieren zu müssen.
Zudem wächst in Mildred langsam der Unmut, warum vortreffliche Frauen stets übersehen werden, während kapriziöse, abenteuerliche Frauen ohne Haushaltsqualitäten von Verehren umzingelt sind. So wünscht sich Mildred einerseits ihr ruhiges Leben zurück, möchte andererseits etwas weniger eine „graue Maus“ sein.
Pyms Prosa ist von scharfer Beobachtungsgabe, durchzogen von feinen Nuancen. Das Geschriebene wirkt sowohl pointiert, als auch subtil. So wird zum Beispiel die Atmosphäre im Nachkriegslondon sehr zurückhaltend skizziert. Beim Lesen ist durchaus das Leid und die Armut zu spüren – die Kriegswitwen, die Essensrationen, der Wohnungsmangel, die in einem Seitenflügel einer halb eingestürzten Kirche abgehaltenen Gottesdienste – dennoch wirken die Leute nie verzweifelt. Sie tragen ihr Los mit britischem Understatement. Und freuen sich an den Kleinigkeiten des Alltags, wie der Organisation eines Basars.
Ebenso bemerkenswert ist der relativ offene Schluss gehalten, auch wenn wir Leser ahnen, wohin die Reise geht. Fakt ist jedoch, dass Protagonistin Mildred längst nicht nur eine vortreffliche, sondern auch eine begehrenswerte Frau geworden ist. Nicht etwa, weil sie sich einer Transformation unterzogen hätte. Denn trotz aller neuen Erfahrungen und ihrem Griff zu etwas farbenfroherer Kleidung, ist sie dieselbe geblieben. Vielmehr scheint es so, dass sie sich ihres eigenen Wertes mehr bewusst geworden ist. Und erkannt hat: Ihr eigenes Leben ist ebenfalls sehr erfüllend, auch wenn sie keine Pygmäen in Afrika studiert.
Dieses großartige „Happy-End“ kommt ohne Kitsch und Holzhammermethode aus. Fast so, als müssten wir Leser es selbst zu Ende denken. Was das amüsante Sittengemälde umso wertvoller macht. Die Prosa wirkt auch deshalb so authentisch, weil Barbara Pym aus eigener Erfahrung spricht. Als Autorin und Mitarbeiterin des „International African Institute“ in London blieb sie ebenso unverheiratet wie unabhängig. Auf Fotos ist sie stimmungsvoll mit Katze oder Schreibmaschine abgebildet – eine Schriftstellerin, die weiß, wo ihre Prioritäten liegen…
Fazit: Ein vortreffliches Lesevergnügen! Barbara Pym beweist ein glückliches Händchen für jenen subtilen, pointierten, eleganten „Understatement“-Humor, der anmutet wie Ingwerkekse. Sie sehen süß aus, die Schärfe folgt aber auf dem Fuße. Im Jahr 2015 wurde dieser Roman von 82 internationalen Literaturkritikern und -wissenschaftlern zu einem der bedeutendsten britischen Romane aller Zeiten gewählt. Völlig zu Recht!
Barbara Pym: Vortreffliche Frauen (1952).
DuMont Buchverlag, Juni 2019.
320 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.
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