Der Wunsch zu fliegen wird häufig mit Ikarus verbunden. Sein Erfolg, immer höher und höher zu fliegen, endete bekanntlich mit einem tödlichen Unfall. Manche mochten dies als Mahnung verstehen. Für Otto Lilienthal und seinen Bruder Gustav war es ein Traum. Wie ein Storch zu fliegen war ihr Ziel. Schon als Kinder glaubten sie, die an ihren Armen befestigten Flügel reichten für einen Flug aus. Sie wurden in der preußischen Kleinstadt Anklam, nördlich von Berlin geboren, Otto 1848 und Gustav ein Jahr später.
Solange die Brüder in Anklam lebten, nannte der örtlicher Pfarrer ihre Experimente eine Gotteslästerung, die nur mit einer Gefängnisstrafe geahndet werden könne. Trotz größter Armut und familiärer Schicksalsschläge wurden sie erfolgreiche Erfinder, die mit eigenständig entwickelten Flugapparaten Gleitflüge demonstrierten. Nur Otto Lilienthal kam als deutscher Luftfahrtpionier in die Geschichtsbücher. Der Erfinder Gustav Lilienthal machte sich unter anderem einen Namen als Architekt und seinen sozialen Projekten.
Ein weiterer Zeitgenosse erlangte ebenfalls nach vielen Jahren intensiver Schmähungen Ruhm. Ferdinand Graf von Zeppelin, geboren 1838, lebte am Bodensee. Seine Leidenschaft galt dem Heißluftballon, den er unbedingt für militärische Zwecke weiterentwickeln wollte. Auch nach dreißig Dienstjahren beim Militär nahmen ihn die wenigsten Mitmenschen ernst. Man nannte ihn den verrückten Grafen vom Bodensee. Seine Zeppelin-Fahrten gingen ebenfalls in die Geschichtsbücher ein.
Wechselnde Perspektiven
Der in Rostock lebende Autor Axel S. Meyer schreibt historische Romane. Sein letzter Roman handelt von dem schwedischen Naturforscher Carl von Linné. In seinem aktuellen Buch stehen die Pioniere der Luftfahrt im Fokus. Mit wechselnden Perspektiven verfolgt man zwei kurzweilige Handlungsstränge. Sie zeigen die schwierigen Rahmenbedingungen, in denen die drei Pioniere ihrer Leidenschaft folgten. Otto und Ferdinand begegneten sich möglicherweise im Krieg vor den Pariser Schutzmauern und verloren sich aus den Augen, bis Ferdinand über Zeitungsberichte den „fliegenden Menschen“ als ernsten Konkurrenten wahrnahm.
Der Kampf um Fördergelder erschwerte seine Entwicklungsarbeit am Luftschiff, das später nur Zeppelin genannt wurde. Ihre abenteuerlichen Leben packte Axel Meyer gekonnt in einen ereignisreichen Roman. Die zahlreichen Informationen über den geschichtlichen und gesellschaftlichen Hintergrund transportiert er über eine leicht zu lesende Sprache, die dem Transport von Informationen und Lebenskolorit dient. Recht schnell ist man in eine vergangene Welt eingetaucht und lässt sich gern vom Pioniergeist dreier Männer beeindrucken.
Axel S. Meyer: Der Sonne so nah.
Kindler, Januar 2023.
480 Seiten, Hardcover, 24,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.