Anja Baumheier: Die Erfindung der Sprache

Von einer Heldenreise der besonderen Art, mit einem überaus liebenswerten Helden, erzählt uns die Autorin in diesem wundervollen Roman.

Dr. Adam Riese, seines Zeichens Sprachwissenschaftler, spricht wenig und wenn, dann am liebsten mit seiner elektronischen Sprachassistentin. Seine Lieblingszahl ist die Sieben, er liebt Listen mit exakt sieben Punkten und sein Äußeres straft seinen Nachnamen Lügen. Aufgewachsen ist Adam auf einer winzigen ostfriesischen Insel, umsorgt von nahezu allen Bewohnern des Eilands, abgöttisch geliebt von seiner Mutter Oda, seinem Vater Hubert und seinen Großeltern, Leska und Ubbo.

Anja Baumheier erzählt seine Geschichte auf zwei Zeitebenen. Ein Handlungsstrang schildert die Lebensgeschichte seiner Familie, beginnend mit der ersten Begegnung zwischen Leska und Ubbo, beschreibt die große Liebe zwischen Oda und Hubert und die vielen Sorgen, die der zu früh geborene Adam seiner Eltern bereitet. Als Adam 13 Jahre alt ist, verschwindet sein Vater spurlos, woraufhin seine Mutter aufhört zu sprechen.

Die zweite Zeitebene zeigt uns Adam als Erwachsenen, Dozent an der Universität in Berlin, alleinlebend, einzige Gesellschaft seine Sprachassistentin. Da ereilt ihn ein Notruf seiner Großmutter: seine Mutter ist beim Anblick eines Buches ohnmächtig geworden und verweigert seither die Nahrung. In besagtem Buch mit dem Titel „Die Erfindung der Sprache“ wurde Adams Vater namentlich erwähnt.

Entgegen seinem Naturell und zutiefst leidend unter all den Veränderungen und Eindrücken, denen er sich damit aussetzt, begibt sich Adam auf die Suche. Er nimmt Kontakt zur Autorin des Buches auf und mit ihr zusammen folgt er den Spuren seines Vaters und dessen Familie durch Deutschland, nach Prag und in die Bretagne. Seine Begleiter dabei sind sein Koffer und eine Katze. Sowie eine in kritischen Momenten vor seinem inneren Auge erscheinende Leuchtschrift.

Mit geradezu akrobatischem Geschick jongliert Anja Baumheier mit der Sprache, mit Worten, von denen man manche tatsächlich erstmal nachschlagen muss. Wer verwendet im täglichen Leben schon Wörter wie „Onomatopoetikum“ oder ähnliches.  Virtuos formuliert sie Sätze, die man sich an die Wand malen möchte, so lyrisch, so humorvoll, so ironisch und gleichzeitig liebevoll sind diese Satzkonstruktionen. „Adams exekutive Hirnfunktionen hatten alle Hände voll zu tun. Das Festlegen von Zielen, strategische Planungen, das Einbeziehen von Hindernissen beim Erreichen der Ziele, eine Prioritätenentscheidung, die Aufmerksamkeitssteuerung und die motorische Umsetzung des Geplanten erforderten seine gesamte Konzentration.“ (S. 198) Ein Satz, der einen wunderbaren Eindruck von Adams Befindlichkeit vermittelt. Oder hier in einer Szene mit Adam als Kind: „Winterkalt begann Adam zu zittern. Eine Träne desertierte aus dem Nussbraun seiner Augen.“ (S. 254)

Vielleicht lässt die Autorin in ihrer Begeisterung für Bilder und poetische Sprache manchmal die Zügel zu sehr schießen, vielleicht ist die gesamte Geschichte ein wenig zu langatmig erzählt, sind zu viele Wendungen eingebaut.  Dabei wird sogar direkt in der Handlung darauf verwiesen, dass Adam sich auf einer klassischen Heldenreise befindet, einer der bekanntesten Plotstrukturen des Kreativen Schreibens.

Doch es macht so viel Spaß, diesen Roman zu lesen, sich an den herrlichen Figuren zu erfreuen, mit ihnen zu fühlen, zu bangen und zu hoffen, dass am Ende doch keine Seite zu viel war. Da sind vor allem Leska, Adams tschechische Großmutter mit ihrem wunderbar authentischen Akzent, da sind die Polizistin, der Arzt und der Pfarrer der Insel, die ihre Lebensaufgabe darin zu sehen scheinen, Adam zu behüten und ihm bei seiner Mission zu helfen. Da ist Zola, die Autorin und Logopädin, die das genaue Gegenteil von Adam ist, aber voller Verständnis und Zuneigung für ihn den Weg bereitet, den Weg hinaus aus seinen Ängsten und seiner Sonderbarkeit.

Der Roman von Anja Baumheier erinnert an viele große Klassiker, ist einerseits eine bunte Mischung aus Anlehnungen an klassische Helden, andererseits aber entwickelt ihr Buch einen ganz eigenen, ganz besonderen Charme. Fazit: eine unumwundene Leseempfehlung für alle, die Sprachwitz und herzerwärmende Geschichten lieben.

Anja Baumheier: Die Erfindung der Sprache.
Kindler, Februar 2021.
496 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.

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