Angeline Boulley: Firekeeper’s Daughter

Daunis Fontaine entstammt zwei Welten: Sie ist eine Fontaine, Enkelin des Bürgermeisters und Inhabers der größten Baufirma der Oberen Halbinsel am Lake Superior. Und sie ist die Tochter von Levi Firekeeper sr. vom Stamme der Ojibwe. Weiße halten sie oft für eine Native American, für Natives gehört sie manchmal nicht richtig dazu. Die Parallelen zur Autorin sind unverkennbar: Angeline Boulley hat eine weiße Mutter und einen Ojibwe-Vater. Sugar Island, wo die Handlung spielt, nennt sie ihre Heimat.

Am Anfang lässt sich Angeline Boulley Zeit beim Erzählen. Aus der Perspektive der 18jährigen Daunis stellt sie deren Mutter vor, die Beziehung zu ihrem Bruder Levi, der nur drei Monate jünger ist, die beste Freundin, die Leidenschaft für Eishockey, die Ojibwe-Community, Ojibwe-Traditionen. Sie reißt Probleme an und wirft Fragen auf: Warum starb Daunis’ Vater, als sie und Levi erst sieben Jahre alt waren? Wie haben es sowohl die Fontaines als auch die Firekeepers bislang geschafft, dem Mädchen gerecht zu werden, ohne sie zu zerreißen? Wird sie sich für eine der beiden Welten entscheiden müssen?

Die Geschichte nimmt Fahrt auf, als Jamie Johnson ins Eishockeyteam von Daunis’ Bruder kommt. Er sieht gut aus, hat Herz, ist ein großartiger Eishockeyspieler. Und er ist Undercover-Drogenfahnder des FBI. Nachdem ein Drogenabhängiger ihre Freundin erschossen hat und das Drogennetz offenbar bis ins Ojibwe-Reservat reicht, ist Daunis bereit, als FBI-Informantin zu arbeiten. Zur Tarnung geben sie und Jamie sich als Liebespaar aus. Daunis will die Community beschützen, deshalb darf nicht jede gefundene Information ans FBI gelangen. Dass die Tarnung irgendwann mehr als das ist, macht es nicht einfacher. Als sie anfängt, auf eigene Faust zu ermitteln, wird es gefährlich. Sie besinnt sich auf das, was sie von ihrem Fontaine-Onkel David und ihrer Firekeeper-Tante Teddie gelernt hat: gründliche Analyse und Unerschrockenheit.

Mit diesem Buch ist Angeline Boulley ein starker Entwicklungsroman gelungen. Vom Verlag wird es als Thriller für Jugendliche bezeichnet – für mich steht allerdings Daunis’ Entwicklung im Vordergrund. Sie hat mit Vorurteilen und viel Leid zu kämpfen, doch sie findet heraus, wer sie ist. Dass sie dabei nach den Drahtziehern der Drogengeschäfte sucht, macht das Buch spannend. Es gibt Boulley Gelegenheit, die Traditionen und Probleme der Ojibwe einfließen zu lassen, ohne zu langweilen. Armut, Drogen, Gewalt, dabei verhindern unklare Zuständigkeiten zwischen US- und Stammesbehörden die Aufklärung von Verbrechen. Wenn eine indigene Autorin darüber erzählt, erhöht das die Glaubwürdigkeit und schärft die Wahrnehmung der Leser*innen. Die leisen Zwischentöne haben mich sehr berührt und hallen schmerzhaft nach.

Der Roman stieg direkt nach seinem Erscheinen auf Platz 1 der New-York-Times-Bestsellerliste und soll für Netflix verfilmt werden.

Angeline Boulley: Firekeeper’s Daughter.
Aus dem Englischen übersetzt von Claudia Max.
cbj, März 2022.
560 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Ines Niederschuh.

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