Amir Gudarzi: Das Ende ist nah

Angela Merkel sagte 2015: „Wir schaffen das.“ In diesem Zusammenhang wurde damals von einer ‚Flüchtlingskrise‘ gesprochen. Inzwischen hat sich einiges geändert. „Wir schaffen das“ wurde abgeschafft. Es kamen weniger Flüchtlinge. Die Schwierigkeiten nahmen in den Aufnahmeverfahren wieder zu und gleichzeitig auch die Not der Flüchtlinge.

Der Autor Amir Gudarzi flog 2009 als junger Mann und Intellektueller von der Türkei aus nach Österreich. In seinem biographischen Roman erzählt er von seinen Erlebnissen im Iran und in Österreich. Für seine Werke wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker*Innen. „Das Ende ist nah“ ist sein Debütroman. Amir Gudarzi beschreibt anschaulich und einprägsam die unterschiedlichen Welten, die er als Kind und als junger Mann in Österreich erlebt. Ohne anzuklagen thematisiert er die Not im Iran und die im Exil: Gewalterfahrung, Ausbeutung, Angst gepaart mit Hunger und Ausgrenzung, aber auch wie ihm die Freundschaft zu Sarah das Leben gerettet hat.

Als der Erzähler A. Sarah begegnet, findet er in ihr anfangs eine politisch Interessierte, eine Gleichgesinnte und zeitweise eine Gefährtin. Ihre gemeinsame Geschichte funktioniert trotzdem nicht, obwohl sie seine Situation verstehen könnte. Schließlich hat sie über einen langen Zeitraum die Proteste im Iran verfolgt und lernte Farsi. Theoretisch könnte sie auch die Sitten und Gebräuche der Iraner verstehen. Ganz zu Anfang ihrer Freundschaft lädt sie A. in ihre Wohnung ein. Der angeregte Austausch findet dort seine Fortsetzung. Immer wieder geht sie zum Kühlschrank und isst etwas. Nie bietet sie ihm Essen an. Ihre Version der Gastfreundschaft endet in dem Angebot, er solle sich selbst bedienen. Im Laufe ihrer Freundschaft wird A. immer dünner, und Sarah sieht es, ohne zu sehen, bis sie ihren Fokus verändert und diesen trotzdem verliert.

„Ich bin überhaupt nicht in der Lage gewesen, mich zu verlieben, zu lieben, zu leben, bin es immer noch nicht. Ich will ihre Nähe, einen Platz zum Schlafen, ihre Hilfe und manchmal nur etwas zu essen. Sie hingegen will Zuneigung, Liebe, eine Beziehung. Wir leben in zwei Welten nebeneinander, nur haben wir es lange nicht gemerkt.“ (S. 285)

Das Elend der Flüchtlinge zu sehen, ohne es tatsächlich zu sehen, von der Not in den Medien zu lesen, ohne sie zu verstehen, dies alles zeigt ein Trauerspiel, das für viele Menschen beispielhaft sein dürfte. Wer sich der Sichtweise eines Flüchtlings annähern möchte, findet Antworten auf unbequeme Fragen. Das Leid von geflüchteten Frauen und Kindern braucht dringend und unbedingt Raum für eine eigene Medienpräsenz und hoffentlich auch in einem Buch.

Amir Gudarzi: Das Ende ist nah
dtv, August 2023
416, Hardcover, 25,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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