Ali Smith: Gefährten

AliSmith, die 1962 im schottischen Inverness geboren wurde, lebt und arbeitet im englischen Cambridge. 2021 schloss sie mit „Sommer“ ihr hochgelobtes Jahreszeitenquartett ab, das auch hier besprochen wurde. Am 24. Mai 2023 veröffentlichte der Luchterhand Literaturverlag ihr Begleitstück zu dem Quartett unter dem Titel „Gefährten“. Auch hier übersetzte Silvia Morawetz den Text aus dem Englischen.

Darin erhält Sandy nach dreißig Jahren 2021 den Anruf einer Frau, die sich als Martina Pelf geb. Inglis vorstellt. Sie ist eine ehemalige Studienkollegin, an die sich Sandy kaum erinnert. Aufgeregt berichtet Martina ihr von einem Erlebnis am Flughafen, bei dem sie von der Polizei festgehalten wurde. Als Mitarbeiterin eines Museums hatte sie ein mittelalterliches, geschmiedetes Truhenschloss (das Boothby-Schloss) aus einer Wanderausstellung zurück nach England überführt. Während der Wartezeit in einem von außen verschlossenen Raum hört Martina eine Stimme, die „Curlew oder curfew. Du entscheidest“ sagt. Sie fragt Sandy, was das zu bedeuten hat. Und schon wird Sandy neugierig.

Sandy liebt die Malerei, und sie liebt die Sprache, ihre „ewig treue Gefährtin“. Aber Sandy hat gerade eine schlechte Zeit: ihr Vater liegt im Krankenhaus, er ist sehr krank, es herrschen wegen der Pandemie strenge Besuchsregeln. Dafür muss sie sein Haus und seinen Hund Shep betreuen.

Familie besetzt Haus

Während Sandy zwischen ihrer Arbeit, sie malt Farbe über Gedichte, Erinnerungen an ihre Kindheit und kurzen Telefonaten mit ihrem Vater pendelt, besetzt die Familie Pelf nach und nach ihr Haus. Sandy weicht in das Haus ihres Vaters aus. Und irgendwann erzählt Ali Smith auch die Geschichte der jungen Frau, die das efeubewachsene Truhenschloss im Mittelalter geschmiedet hat.

Ali Smith erzählt „Gefährten“ auf ihre wundersame, wunderbare Art. Gleich der Einstieg in Ihren neuen Roman gerät auf sonderbare Weise mythologisch modern:

`Allo `allo `allo. Wo soll’s denn hingehen?

Das ist die Stimme von Zerberus, dem Höllenhund mit den drei Köpfen (ein `allo pro Kopf). Im antiken Mythos bewacht er das Tor zur Unterwelt und passt auf, dass kein Toter, herauskommen kann…

Dieser britische Polizist ist allerdings von heute, die neueste käufliche Version, und er hat den Styx überquert, steht am Eingang zur Unterwelt und zeigt den Zerberus-Köpfen Fun-Fotos von sich und anderen Uniformierten, auf denen sie herumalbern, das V-Zeichen über Bildern von Leichen echter Ermordeter machen und scherzhafte rassistische / sexistische Kommentare hinzufügen, Fotos, die er und seine Kumpels zurzeit verwenden hier im Land der Union-Jack-Jüngelchen im Jahr des Herrn zweitausendeinundzwanzig, in dem diese Geschichte spielt…“ (S. 11). Herrlich!

Smith jongliert mit Sprache

Und so geht es weiter in der Geschichte, in der sich „Fantasie und Wirklichkeit auf beklemmende Weise miteinander vermischen“. Smith jongliert mit Sprache und stattet ihre Hauptfigur Sandy mit einer besonderen Liebe zur Kunst und zur Literatur aus. Es entfaltet sich eine geheimnisvolle Geschichte mit Wortspielen und rätselhaften Ereignissen. Wie im Jahreszeitenquartett versinke ich als Lesende im Ali-Smith-Kosmos. Ihr eigenwilliger, einzigartiger Stil Geschichten zu erzählen, ist fesselnd und verwirrend zugleich. Und immer finden sich aktuelle Bezüge zur Gegenwart, zur Politik und zum Leben in England.

„Gefährten“ von Ali Smith ist ein zwar wunderliches, aber dennoch meisterlich geschriebenes Stück Literatur einer großen Erzählerin.

Ali Smith: Gefährten.
Aus dem Englischen von Silvia Morawetz.
Luchterhand Literaturverlag, 24. Mai 2023.
256 Seiten, Hardcover, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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